Es sind die hellblauen Fensterläden, die einen auf den alten Bauernhof an der Josephsburgstraße aufmerksam machen. Der Zeugnerhof ist eines der wenigen Gebäude, das heute auf Berg am Laims dörfliche Vergangenheit hinweist. Das, was im Innern des Bauernhofs passiert, ist nicht minder bemerkenswert. Seit 40 Jahren ist der Zeugnerhof ein Treff für Kinder und Jugendliche. Viele Münchner sind in Berg am Laim zum ersten Mal mit Hip-Hop, Graffiti und Breakdance in Kontakt gekommen.
Erstmals wurde das Bauernhaus 1432 urkundlich erwähnt, die Substanz des heutigen zweigeschossigen Baus stammt aber aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Als Einfirsthof oder Wohnstallstadelhaus ist das Gebäude an der Josephsburgstraße 10 in der Denkmal-Liste verzeichnet. Landwirtschaftlich wurde der Bauernhof schon zur Zeit der Eingemeindung Berg am Laims nach München im Jahr 1913 nicht mehr genutzt. Er diente zunächst als Wohngebäude für die Mitarbeiter einer Ziegelei, außerdem hielt man dort Pferde. 1880 wurde die Ziegelei stillgelegt, der Hof blieb aber bestehen. Um ihn vor dem Verfall zu retten, wurde der Zeugnerhof Ende der 70er-Jahre saniert, Teile wurden abgerissen und in Anlehnung an das alte Gebäude wiederaufgebaut. Heute ist in dem Hof eine Jugendfreizeiteinrichtung untergebracht. Eröffnet wurde sie 1981 und ist seither in der Trägerschaft des Kreisjugendrings München-Stadt (KJR).
Ungefähr zu derselben Zeit, Anfang der 80er-Jahre, stößt Astrid Weindl in einem Laden auf das Buch "Munich Graffiti" von Heiko Schiemann, so beschreibt sie es 2013 in einem Interview. In dem Buch geht es um die kleine Münchner Szene derer, die mit Sprühdosen leere Fassaden verschönern. Weindl findet das spannend und nimmt Kontakt zum Autor des Buches auf. Sie lädt ihn in den Zeugnerhof ein, wo sie damals als Sozialarbeiterin arbeitet.
Der Rest gehört zu den Annalen der Münchner Subkulturgeschichte. Weindl setzt sich für die Belange von Graffiti- und Streetart-Künstlern ein. Sie stößt Projekte an, fördert Künstler wie Loomit und leistet finanzielle und politische Unterstützung für Kunstplattformen wie etwa das "Z Common Ground" an der Zschokkestraße. So hat sie viele international bekannte Sprayer, Tänzer und Musiker nach München gebracht, aber auch jungen Münchnern eine Perspektive eröffnet. Jams, Writer-Sessions, Dance-Battles: Zu Beginn der 90er-Jahre fand all das an der Josephsburgstraße statt. Größen der Szene gehen im Zeugnerhof ein und aus. Roger Rekless gibt dort Workshops, Aloun Ferzandi gründet hier seine Tanzcrew. Rapper David Pe von der Münchner Kombo "Main Concept", im Brotberuf heute Arzt, erinnert sich gern an die Zeit in Berg am Laim . "Nach dem Abi 1994 habe ich dort mein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert und von dort aus erste Hip-Hop-Jams organisiert", sagt er. Sein Bandkollege Markus Klammer, der als Glam Musik produziert, ergänzt: "Der Zeugnerhof spielt bei unserer Geschichte eine wichtige Rolle." Main Concept gehört zu den Pionieren des deutschen Hip-Hop und steht auch nach 30 Jahren noch zum Rappen auf der Bühne. "Ich habe eine emotionale Bindung zu dem Freizeitheim und auch dem Viertel", sagt David Pe, "ich habe dort 2011 sogar meine Hochzeit gefeiert."
Astrid Weindl ist mittlerweile im Ruhestand. Sie kümmert sich aber weiterhin mit dem Verein Urbane Kunst um die Förderung der Subkultur. Im Zeugnerhof wird noch immer gerappt, aber auch in alter Tradition des Bauernhofs gearbeitet. Neben einem Musikstudio ist dort nämlich auch eine Ton- und Holzwerkstatt untergebracht.
Am Samstag, 11. September, findet von 14 Uhr an eine Feier zum 40-jährigen Bestehen des Jugendtreffs an der Josephsburgstraße 10 statt.