Bayern-Fans hadern mit der Uefa:Weit weg von daheim

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Wenn Fan-Sein zum Leistungssport wird: Die treuesten Bayern-Anhänger feuern ihren Verein nicht nur in der Bundesliga an, sondern reisen ihm bis in den hintersten Winkel Europas nach. Jetzt hadern sie wegen der Ticketvergabe mit der Uefa - und fürchten die Übermacht der "Schönwetter-Fans".

Florian Fuchs und Sebastian Krass

Vielleicht ist es einfach zu viel: dieses bedeutendste Spiel, das es für einen Fußballverein geben kann - und das auch noch im eigenen Stadion. Klar ist da Vorfreude, wenn man sich in diesen Tagen umhört bei einigen der leidenschaftlichsten Fans, die der FC Bayern hat.

Die treuesten Fans reisen dem FC Bayern durch die halbe Welt hinterher. (Foto: dapd)

Aber es sind auch viele nachdenkliche Sätze zu hören. Sie kommen zum Beispiel aus dem Club Nr. 12, einer der bedeutendsten Fan-Vereinigungen, sie kommen aber auch von einzelnen, eher kleineren Fanclubs.

Keiner von ihnen will mit Namen in der Zeitung stehen. Die Medien sind kaum weniger verdächtig als einer ihrer Hauptgegner: die Uefa. Der kontrollsüchtige Verband, das Sponsorengehabe, die zu wenigen und zu teuren Tickets, der Hype - es kommt einiges zusammen, das nur mühsam auszublenden ist, für Menschen, die einen Großteil ihres Lebens diesem Klub widmen.

Menschen sind das, die Saison für Saison alle 34 Bundesligaspiele ihres Vereins im Stadion sehen, plus DFB-Pokal, Europapokal und Freundschaftsspiele. Es gibt welche, die 2002 in Japan und Südkorea waren, um die WM zu verfolgen. Nach dem Halbfinale sind sie schnell rüber nach Deutschland geflogen, um ein Freundschaftsspiel der zweiten Mannschaft des FC Bayern anzuschauen - und direkt wieder zurück nach Fernost zum Finale. Es sind Menschen, die Saison für Saison Abertausende Euro für den FC Bayern ausgeben.

Es sind oft Menschen, die noch im Studium oder in der Ausbildung stehen. Andere arbeiten bereits in der Bank, als Rechtsanwalt oder Arzt, teilweise nur vier Tage die Woche. Weil sie sonst die Zeit für ihren FC Bayern gar nicht aufbringen könnten.

Jetzt, vor dem Finale am 19. Mai, haben Fans extra zehn Tage Urlaub genommen, um die Vorbereitung zu bewältigen. Die Choreographie zum Beispiel, die am Samstag vor dem Spiel die Südkurve bedecken soll, von ganz oben bis ganz unten.

Etwa 15.000 Folien in Rot und Weiß gilt es dafür zu organisieren. 70 mal 70 Zentimeter ist jede Folie groß. Für jeden Sitzplatz eine. Dazu muss ein Dutzende Meter langes Band her, für den Spruch, der zum Leitmotiv des Abends werden soll. "Heute ist ein guter Tag, um Geschichte zu schreiben", hieß es 2001, als der FC Bayern zuletzt die Champions League gewann. Der Spruch für 2012 steht auch schon, er soll natürlich geheim bleiben.

Doch warum das alles? Warum tun erwachsene Menschen sich das an? Was sind die Wurzeln dieser Hingabe?

Zunächst geht es natürlich um die 90 Minuten Fußball, um Sieg und Niederlage. Aber es geht auch um Gemeinschaft. So eine stundenlange Busfahrt mit Gleichgesinnten, das hat etwas von Klassenfahrt. Doch Fan-Sein kann auch selbst zum Sport werden. Möglichst überall hinfahren, möglichst überall dabei sein.

Und möglich ist viel: ein Europapokalspiel in einem unwirtlichen rumänischen Stadion etwa, an einem Mittwoch im Dezember bei minus 15 Grad. Wer dabei ist, zeigt, dass er es ernst meint. Sich selbst und den anderen - zumindest denen, die es interessiert. Der Fanblock ist zu guten Teilen ein selbstreferenzielles, teils hierarchisches System. Ein System, aus dem ein gewaltiges Selbstbewusstsein entsteht.

Wer bei jeder Partie dabei ist, wer seine Mannschaft supportet, wie die Fans es nennen, der trägt etwas bei zum sportlichen Ergebnis des Teams. "Die Mannschaft zum Sieg brüllen", nicht umsonst gibt es diese Sprachbilder. Viele Fans in der Südkurve nehmen das wörtlich. Und begreifen sich deshalb als Akteur.

Der Name Club Nr. 12 steht für die Rolle als zwölfter Spieler ihrer Mannschaft, das ist für viele Mitglieder mehr als eine Phrase. Die Anhänger sehen sich als Teil eines Profivereins, den man als Zuschauer sonst eigentlich nur von außen bewundert. So gesehen ist die Konsequenz, mit der diese Menschen ihr Fan-Sein ausleben, auch eine Art Leistungssport.

Doch das Champions-League-Finale bringt dieses sportliche Prinzip ins Wanken. 17.500 Karten bekam der FC Bayern zugeteilt, von 62.500 Karten insgesamt. Der allergrößte Teil wurde über eine Verlosung unter 180.000 Mitgliedern und 3000 Fanclubs verteilt. So kommen statt der Stamm-Fans viele zum Zuge, die nur für diesen Abend wieder ihre Lust entdecken, dabei zu sein. Und natürlich diejenigen, die sich die horrenden Preise auf dem Grau- und dem Schwarzmarkt leisten können. "Beim Finale wird halb Grünwald im Stadion sitzen", ätzt ein Vertreter vom Club Nr. 12.

Wenn das Endspiel nicht in München, sondern in Mailand oder Madrid stattfände, wäre es seiner Ansicht nach leichter gewesen, an Karten zu kommen. Denn dann wären viele "Schönwetter"-Fans daheimgeblieben - der Fluch des Finals in der Heimat.

Der FC Chelsea, ist aus England zu hören, habe mehr darauf geachtet, die treuesten Fans zu bedienen. Am Ende, so fürchtet man in der Szene, könnten mehr Chelsea-Anhänger im Stadion sein als Bayern-Fans - auch weil die Engländer angeblich noch schmerzfreier sind, was Ticketpreise auf dem Schwarzmarkt angeht.

Aber es wird der Moment kommen, in dem kein Platz mehr ist für Groll oder gar Zweifel an sich und der Fußballwelt: am Samstag, um 20.45 Uhr, zum Anpfiff. Dann verschwindet jeder Fan im Strudel seiner Emotionen. Und nach knapp zwei Stunden wird er recht zerzaust wieder auftauchen und wissen, ob das ein Abend war, von dem er seinen Enkeln erzählen oder von dem er für immer schweigen wird.

© SZ vom 16.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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