Der Blick auf die Actionszene wird durch den aufsteigenden Rauch etwas vernebelt. Die Glut der Zigarette scheint sich auf der 540 Quadratmeter großen Leinwand zu spiegeln, auf der gerade der vom Helden getroffene Bösewicht zu Boden sinkt. Doch der Eindruck täuscht. Es ist die Windschutzscheibe, die die aufglimmende Kippe reflektiert. Kaum zu glauben, aber es existieren noch ein paar Refugien in Deutschland, wo passionierte Raucher ihr Laster mit dem Filmgenuss im Breitwandformat verbinden können: im Autokino.
Groß ist die Auswahl freilich nicht mehr. In Deutschland gibt es nur noch knapp 20 Lichtspielanlagen dieser Art, die meisten im Osten. In Bayern gibt es genau eine: in Aschheim bei München. "Wir haben zu kämpfen, aber wir werden überleben", sagt Wolfgang Holl. Der 57-Jährige ist als Manager bei der in Starnberg ansässigen "Werbe- und Filmbetriebs GmbH Walter H. Jann" für die Autokino-Kette "Drive In" verantwortlich, zu der neben der Anlage in Aschheim noch Kinos in Essen, Köln, Stuttgart und Frankfurt/Gravenbruch gehören. Letzteres ist das älteste Autokino in Deutschland (1960 gegründet) und nach wie vor das populärste.
Glorreiche Zeiten passé
Dahinter folgt aber schon das vor 40 Jahren im Mai 1968 eröffnete Kino in Aschheim, wobei die Betreiber heute von den einstigen Zuschauerzahlen nur träumen können. "In den Siebzigern kamen 400.000 Zuschauer pro Jahr, jetzt kann man froh sein, wenn es 100.000 sind", erklärt Holl. Die glorreichen Zeiten sind also passé, aber die Institution Autokino besitzt immer noch eine Anziehungskraft. Und die beschränkt sich nicht nur darauf, dass man hier noch ungestört rauchen darf - Zeitgeistforscher könnten boshaft behaupten, da treffen zwei anachronistische Phänomene des 20. Jahrhunderts aufeinander - sondern generell auf die Möglichkeit, eine öffentliche Filmvorstellung zu besuchen, ohne die private Sphäre verlassen zu müssen.
Man braucht nicht lange einen Parkplatz zu suchen, kann sich in der Jogginghose in den zurückgeklappten Sitz fläzen, Cola schlürfen, mit der Chipstüte rascheln, ohne andere zu stören - und bleibt auch umgekehrt von solchen Zumutungen der Nachbarn verschont. Der Autokinobesuch birgt aber auch Vorteile, die einem nicht sofort ins Auge stechen. "Zu uns kommen viele junge Ehepaare mit Kind", sagt Holl. "Während sich die Eltern den Film anschauen, kann das Baby auf dem Rücksitz schlafen." Auch Hundebesitzer sparen sich so den Dogsitter und nehmen ihren Vierbeiner einfach mit.
"Schmusen können Sie heute auch im Mathäser"
Neben praktischen Überlegungen spielt natürlich die Nostalgie eine wichtige Rolle. Immer wieder melden sich Oldtimer-Clubs in Aschheim an, zum alljährlichen Grillfest am vergangenen Wochenende kamen Hunderte chromblitzende Straßenkreuzer der alten Schule. Auch die Besitzer von Cabrios parken ihre Wagen gerne vor einer der beiden Leinwände in Aschheim, um sich in lauen Sommernächten unter dem Sternenhimmel einen Blockbuster reinzuziehen.
Dass man dabei gerne Freund oder Freundin mitnimmt, ist logisch, obgleich es die sogenannten love lanes - die letzten Reihen, in denen junge US-Pärchen ihre ersten Kusserfahrungen im prüden Amerika der fünfziger Jahre sammelten - im klassischen Sinne nicht mehr gibt.
"Schmusen können Sie heute auch im Mathäser. Und was man sonst noch machen kann, das können Sie ja überall machen", erklärt Holl. Gleichwohl atmet der Besuch eines Autokinos - eine Institution, die der Amerikaner Richard Hollingshead vor 75 Jahren mit dem ersten Drive-In-Theatre begründet hat - immer noch einen gewissen romantischen Zauber. Das Gros des Publikums in Aschheim, wo es Stellplätze für 1100 Wagen gibt, besteht aus jungen Pärchen. Wenn während der Vorführung hin und wieder unvermittelt die Hupe ertönt, muss das nicht unbedingt eine positive Resonanz auf eine gute Filmszene sein.
Gebrauchtwagen-Markt und Autokino
In Aschheim bemühen sich die Besitzer, den nostalgischen Charme zu bewahren. Das Restaurant mit seinen roten Ledersesseln und silbernen Rundtischen schaut aus wie eine große amerikanische Snackbar aus den Fünfzigern und selbstverständlich stehen auf der Karte jede Menge Hamburger und Pommes frites zur Auswahl. Wurden früher die Besucher noch mit zentralen Lautsprechern beschallt, funktioniert das heute professioneller. Über das Autoradio kann man auf einer bestimmten Frequenz den Ton empfangen. Wer kein funktionsfähiges hat, der kann sich ein tragbares Radio gegen Pfand im Restaurant ausleihen.
Doch so gut das Autokino Aschheim im Vergleich zu anderen Häusern in Deutschland auch läuft - allein mit Filmvorführungen wäre das Geschäft für die Betreiber nicht rentabel. Der Gebrauchtwagen-Markt, der jeden Samstag auf dem Kinogelände stattfindet, ist durch die Einnahmen für die Platzmiete enorm wichtig. Entscheidend ist auch, dass die Firma Walter H. Jann, die bis 2002 ein zweites bayerisches Autokino in Nürnberg betrieben hat, seit der Übernahme des Aschheimer Geländes 1987 ein Erstaufführungsrecht hat. Früher durften die Autokinos neue Filme erst acht Wochen nach dem Start in deutschen Kinos zeigen. "Wir haben immer topaktuelle Filme", erklärt Holl. Meist sind es populäre amerikanische Blockbuster, cineastische Exoten finden sich im Programm nicht.
Auch das Jubiläumsjahr war bisher kein allzu gutes. Wegen der Fußball-Europameisterschaft und diverser verregneter Wochenenden hielten sich die Besucherzahlen in Grenzen. Holl hofft auf eine erfolgreichere zweite Jahreshälfte, wenngleich die zweite, vor drei Jahren eingeweihte Bildwand ab Anfang November nicht mehr in Betrieb ist. Auf der großen Leinwand können die Besucher dagegen auch im Winter Kino genießen, da man dort Heizlüfter an den Servicesäulen anschließen kann. Das Rauchen dürfte bei geschlossenen Fenstern allerdings weniger Spaß machen.