Malerisch ist die Umgebung nicht gerade. Reiner Heidorn hat sein Atelier seit acht Jahren in einer leeren Weilheimer Fabrikhalle. Gleich neben einer Autowerkstatt, in der gerade unentwegt Reifen gewechselt werden. Im Atelier ist es kalt. Dicht hintereinander gestapelt warten Heidorns großformatige Bilder auf die Abreise. 17 fliegen demnächst nach Taipeh (Taiwan) in die Lei Xiang Gallery, zehn reisen nach Los Angeles. Die Gemälde, die noch im Guidecca Art District weilen - die "größte und schönste Ausstellung, die ich bisher hatte" -, hat er selbst nach Venedig transportiert. Vergleichsweise dazu ist der Weg nach München eine Kurzstrecke. Dort startet am 27. Mai eine Schau seiner Werke in der Heitsch-Gallery. Doch, sagt Heidorn und blickt sich zufrieden um, zurzeit laufe es ganz gut. "Abgesichert fühle ich mich aber noch nicht."
Grün, grün, grün - das ist die erste Wahrnehmung im Atelier. Die Bilder leuchten in allen Farbnuancen und Schattierungen. Auch wenn sie keine festen Strukturen aufweisen, suggerieren sie doch Landschaftseindrücke. Die Assoziationen reichen von düster-dunklen Nachtwäldern bis hin zu von Sonnenlicht erhellten Unterwasserwelten, von wuchernden Pflanzen und Baumsilhouetten bis hin zu weiten Horizonten. Genau genommen handelt es sich aber um fast monochrome Farbflächen. Die grün grundierten Leinwände - "ich kaufe nur florentinisches Rohleinen" - legt Heidorn auf dem Boden aus, bevor er "darübersuppt", also sprenkelt, tropft, sprüht. Seine "Farbsuppen" (Heidorn) rührt er mit Benzoesäure, Terpentin und Pigmenten selbst an, lässt sie auf der Leinwand manchmal zu dicken, kraterähnlichen Klumpen, dann wieder zu dunkel geränderten Terpentinseen gerinnen. Stellt er die nasse Leinwand auf, schliert die Farbe in vertikalen Spuren. Meist müssen die Bilder freilich mindestens drei Wochen liegen, bevor er sie aufstellt. So schnell wie das Malen geht, der Trocknungsprozess dauert bis zu einem halben Jahr.
Die Inspiration zu seinen Werken holt sich Heidorn bei Spaziergängen, "alles innerhalb der Ortsschilder von Weilheim". Er fotografiert viel, besonders gern die Ränder von Pfützen oder die Ufer kleiner Weiher. "Ich sammle die Eindrücke, schaue die Fotos auch immer wieder an, male dann aber aus dem Kopf." Oder er lässt sich von Wassertropfen anregen, die er unter dem Mikroskop studiert. Manchmal legt er eines seiner Fotos auf den Boden, lässt die Farbe darauf tropfen. "Wenn ich die Tropfen nicht mehr sehe, ist der Farbton genau richtig."
Als Maler ist Heidorn, Jahrgang 1966, Autodidakt. Begonnen hat er als 16-Jähriger mit Aquarellen, auf denen sich extrem dürre Figuren tummelten, Beleg dafür, dass er ein "wahnsinniger Fan" Schieles war. "So wie andere ein Motorrad besaßen, hatte ich einen Tisch mit Grafitstiften, Pinseln und Aquarellfarben, zeichnete und malte." Mit der Kunstgeschichte hat er sich intensiv auseinandergesetzt, nennt Kirchner und Dix als frühe Vorbilder. Heute dagegen hält er es mehr mit den beiden österreichischen "Jungen Wilden" Herbert Brandl und Hubert Scheibl. Und schwärmt vom Neoexpressionisten Albert Oehlen. "So etabliert würde ich auch gern werden." Unbestritten beherrscht Heidorn Selbstvermarktung gut. "Ich kann es geschickt vereinbaren, das Malen und das Geschäft", sagt er. Früh hat er aufs Digitale gesetzt, seine Werke ins Internet gestellt. Die internationalen Galeristen hätten schnell auf ihn auch reagiert, sagt er, die deutschen weniger. Und spielt dann ganz wundervoll die Arroganz vor, auf die er in deutschen Galerien trifft, sobald er es wagt zu erwähnen, dass er ein Künstler ist. "Und dann noch dazu aus Weilheim." Wichtig ist ihm, dass seine Bilder weltweit funktionieren.
Er sei kein Effekthascher, sagte er. "Ich male die Bilder auch zu meiner eigene Psychoreinigung." Aber die Bilder sollen "reinknallen", ob in China oder Korea, ob in der Schweiz oder in Frankreich. "Ich weiß inzwischen auch, dass sie das tun und zwar ohne dass jemand an mich denkt." Deshalb signiert er auch auf der Rückseite. "Die sollen an das Gesprudel denken, nicht an mich."
Ein bisschen aufs Sujet kommt es freilich schon an. So schickt er nach Taipeh nicht die Monochrome, sondern ausschließlich Bilder aus seiner Manga-Serie mit den stark reduzierten, großäugigen, wimpernlosen Figuren. Meist ein Mädchen mit Katzenohren und Schwanz im Nachthemd ohne jede Individualität. Aber es gibt ein Modell: Vor neun Jahren hielt Heidorn zum ersten Mal seine Pokémonfiguren liebende Tochter Selma im weißen Nachthemd auf einem Bild fest. Längst hat sich die Figur verselbständigt, sitzt einsam zwischen Gräsern, was doch sehr gut in die Pandemie-Zeit passe, sagt ihr Schöpfer.
Seine Bilder irgendwo hinzuschicken, ist ihm kein Problem. Das Bild abspannen, um die Leinwand eine Klarsichtfolie wickeln, die Zollpapiere ausfüllen und weg damit. Das sei doch nicht aufwendig, sagt er. "Wenn das Schiff untergeht, sage ich dem Galeristen, kein Problem, ich mach' Ihnen drei neue, Sie müssen bloß eine Woche warten." Das Trocknen rechnet er da anscheinend nicht mit. Heidorn zuckt die Schulter und attestiert sich selbst eine gewisse Materialverachtung. "Ich hänge eben nicht mit ganzer Seele an einem einzigen Bild." Er sei eben nicht so kompliziert wie die akademischen Maler.
Dass er inzwischen viel und weltweit ausgestellt wird, bedeutet übrigens nicht, dass er immer gut verkauft. Da seien schon Leerläufe dabei, räumt er ein, aber daran sei er gewöhnt. Er besitzt die Zähigkeit, am Ball zu bleiben, immer wieder geduldig in Galerien nachzufragen, zu bohren und ein wenig zu nerven. "Irgendwann habe ich auch internationale Fürsprecher gefunden." Die Pandemie hat sich eher positiv auf sein Geschäft ausgewirkt. Statt zu reisen, leisteten sich manche Menschen eben Kunst, sagt er.
Kunden können allerdings auch ganz schön anstrengend sein, fragen ihn, ob er nicht zur Abwechslung mal ein Meer malen könne. "Siehst du hier irgendwo ein Meer, ich nicht", lautet dann die Antwort. Gelegentlich nimmt er sich aber auch mal vor, den Verkauf abzulehnen und zu sagen: "Du kriegst kein Bild, um keinen Preis, du nicht." Aber gesagt hat er das noch nie.
Reiner Heidorn: Wildlight , 27. Mai bis 12. Juni, Heitsch Gallery, Reichenbachstraße 14