Lothringer 13:In der Kunst wohnen

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"This house is not a home": Lisa Britzger und Luzi Gross (von links) haben ihre erste Ausstellungsidee trotz ungeahnter Probleme umgesetzt. (Foto: Robert Haas)

Ein neues Kuratorenteam will die Lothringer 13 zu einem Begegnungsort jenseits klassischer Konzepte machen

Von Evelyn Vogel, München

"Im Sommer 2020 richtet die disziplinenübergreifende Plattform ,K' in der Lothringer 13 Halle eine ebenso simulierte wie nutzbare Wohnung ein, um dort Modelle und Praktiken des Zusammenlebens künstlerisch zu erproben. Mehr als 40 lokal und international agierende Künstler*innen und Forscher*innen folgen der Einladung, ihre Zugriffe auf gemeinsames Leben im Rahmen von drei mehrtägigen Aktivierungsphasen in erfahrbare Formen zu überführen. In einer sich wandelnden Ausstellungsarchitektur mit eigens angefertigten Möbeln finden Lectures und Performances statt, praktische Fähigkeiten werden in Workshops vermittelt und gemeinsam erprobt und wechselnde Gastgeber*innen laden zu Abendessen ein. Anhand der Szenarien um das Wohnen und Leben erkundet ,K' im Austausch mit den Besucher*innen Handlungsspielräume und Spannungen, die sich aus der Begegnung zwischen öffentlicher Institution und selbstorganisierter kollektiver Praxis ergeben."

Spätestens an dieser Stelle würde in einem Radio-, TV- oder Potcastbeitrag das berühmte Knarzen und Rauschen die Sprecherstimme unterbrechen, das mickymaushafte Geräusch des Zurückspulens der Tonspur wäre zu hören, und das Zitat würde von vorne beginnen. Nur anders diesmal. Corona-kompatibel. Von Praktiken des Zusammenlebens, von Aktivierungsphasen und Abendesseneinladungen, von Austausch mit Besuchern und Begegnungen zwischen wem auch immer würde dann wohl keine Rede mehr sein. In der aktuellen Ausstellung in der Lothringer 13 aber ist es das aber. Nach wie vor.

Was macht ein neues Kuratorenteam, wenn ausgerechnet die erste Ausstellung, mit der es sich vorstellen will, so wenig in diese Corona-Ära passt? Verschieben? Absagen? Durch eine klassische Ausstellung ersetzen? Der Gedanke, die interaktive Präsentation mit vielen Beteiligten und mehreren "Aktivierungsphasen" in eine Nach-Corona-Zeit zu verschieben, streifte die Überlegungen der Kuratorinnen tatsächlich mal - und wurde sofort verworfen. Ein Jahr Arbeit an einem Ausstellungskonzept wirft man nicht so einfach über Bord. Deshalb war die Antwort, die das Team gab: die Widersprüche aushalten. Auch wenn die sich ständig verändernden Rahmenbedingungen viele Probleme aufwerfen und die eigene Flexibilität wie die der Künstler - und mitunter der Besucher - auf eine permanente Probe stellen.

Das Team besteht aus drei Frauen: der 38 Jahre alten Kulturwissenschaftlerin Lisa Britzger, der 33 Jahre alten Luzi Gross - Kulturwissenschaftlerin und Kulturmanagerin - und der 43 Jahre alten Gestalterin Anna Lena von Helldorff. Alle drei stammen aus dem Raum München, haben aber andernorts ihre beruflichen Erfahrungen gesammelt und sind in den vergangenen beiden Jahren wieder nach München zurückgekehrt. Britzger hat reichlich kuratorische Leitungserfahrung, war Assistentin am Kunstverein München, Leiterin des Kunstvereins in Hildesheim und von 2016 an im Leitungsduo des Kunstvereins Harburger Bahnhof in Hamburg. Gross arbeitete als Kunstvermittlerin, war kuratorische Assistentin für mehrere Kunstvereine sowie für die Documenta 14. Helldorff arbeitete viele Jahre als selbständige Gestalterin in Leipzig, unterrichtet seit 2004 an verschiedenen deutschen Kunsthochschulen, gründete 2014 den "KV - Verein für Zeitgenössische Kunst Leipzig" und realisierte zahlreiche Projekte unter anderem für die GfZK Leipzig, für das Kunsthaus Graz und in der Villa Stuck in München.

Gemeinsam wollen sie die städtische Lothringer 13 Halle als Ort der Begegnung von lokalen und internationalen Akteuren führen. Damit liegen sie gar nicht so weit vom Konzept ihres Vorgängers, Jörg Koopmann, entfernt. "Tatsächlich hat Jörg die Halle schon in die Richtung gebracht, in der wir sie nun weiter voranbringen wollen", bestätigt Lisa Britzger. Sie war diejenige, die sich für die Nachfolge von Koopmann beworben hat und dann beschloss, das Ganze in Teamarbeit aufzuziehen. "Die Struktur hier ist als One-Woman-Show angelegt, aber wir wollen sehen, ob man das Ganze nicht im Plural auffassen kann", beschreibt Britzger ihr Vorhaben.

Deshalb werden alle alles machen, ohne strikte Arbeitsteilung. Sie wollen verstärkt Vermittlungs- und Veranstaltungsformate sowie Publikationen anbieten. Und sie verfolgen kein klassisches Ausstellungskonzept, sondern wollen die Künstler und die Arbeitsprozesse in die Halle holen. So wie jetzt mit der Gruppe "K" und dem Projekt "This house is not a home". Der Titel geht übrigens zurück auf einen Song von Dionne Warwick, in dem sie singt: "A chair is still a chair even when there is no one sitting there. But a chair is not a house and a house is not a home when there is no one there to hold you tight." Tja, das mit dem Heim und der körperlichen Nähe ist derzeit ja ziemlich aktuell. Wen lassen wir nahe an uns heran und wen in unser Heim? Für so manchen würde wohl auch das Zitat passen "My home is my castle". Nix da mit Partizipation und Nähe.

Anders in der Lothringer 13. Da liegen Yogamatten am Boden und zwei in gehörigem Abstand voneinander aufgestellte Crosstrainer sind so mit Seilen verbunden, dass man im Zuge einer sogenannten "Aktivierung" nur gemeinsam vorankommt. An anderer Stelle steht ein mobiler Tisch-Küchen-Block, der aktuell wohl nur von den Künstlern genutzt werden kann, an dem bis zum Ende der Ausstellung im September vielleicht aber doch hin und wieder zu Tisch gebeten werden kann. Und welche Rolle die diversen anderen "Möbel" dieses halb analogen, halb fiktiven "Wohnraums" erfüllen, wird sich wohl erst bei den Aktivierungen herausstellen. Diese finden in Etappen statt und unterliegen noch mehr als jede klassische Ausstellung den Hygieneregeln unseres Coronazäns. Doch die Kuratorinnen haben keinen Zweifel, dass die Inbesitznahmen nicht nur gelingen werden, sondern auch ein spannendes Unterfangen zum Einstand darstellen. "Schließlich behauptet zeitgenössische Kunst von sich, auf aktuelle Strömungen der Gegenwart zu reagieren", bringt Luzi Gross es auf den Punkt.

K 2020: This house is not a home , Lothringer 13 Halle, Lothringer Straße 13, bis 20. September, Mi.-So. 11- 19 Uhr, näher Infos zu den Aktivierungen unter www.lothringer13.com

© SZ vom 13.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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