Ausbildung:Wie als Teilzeit-Azubi der Einstieg ins Berufsleben gelingt

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Bei Michael Gleau hat Andra Bunica ihre Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten absolviert. (Foto: Stefanie Preuin)
  • Oft brechen Frauen eine Ausbildung ab, wenn sie währenddessen schwanger geworden sind.
  • Scheitert die Beziehung, sind sie als Alleinerziehende ohne Beruf schwer auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln.
  • Besonders für sie ist das Modell attraktiv, eine Lehre in Teilzeit zu absolvieren.

Von Sven Loerzer

Als alles vorbei war und das Ergebnis der Prüfungen vorlag, da rief Andra Bunica ihren Chef an und brach in Tränen aus. "Ich habe geheult, als wäre ich durchgefallen", erzählt die 29-Jährige. Aber es war die überschießende Freude: Die alleinerziehende Mutter hat ihre Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten erfolgreich und mit guter Note abgeschlossen - und zwar in Teilzeit.

Sie hatte damit endlich geschafft, was sie sich so lange erhofft hatte, "dem Staat nicht mehr auf der Tasche zu liegen". Dem Jobcenter ist sie dankbar für die Unterstützung auf diesem Weg, "in meinem Heimatland Rumänien gibt es diese Unterstützung nicht".

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Alleinerziehende haben, so hat gerade erst wieder der Armutsbericht gezeigt, ein hohes Armutsrisiko. 14 Prozent der 53 000 erwachsenen Münchner, die Hartz IV bekommen, sind alleinerziehend. "61 Prozent der arbeitssuchenden Alleinerziehenden haben keine Ausbildung, aber eine gute Schulbildung", sagt Jobcenter-Geschäftsführerin Anette Farrenkopf. Eigentlich bringen sie also beste Voraussetzungen für eine Lehre mit. Aber dann bekommen sie ein Kind.

Wie Andra Bunica, die seit elf Jahren in Deutschland lebt. Sie hatte im Jahr vor der Geburt ihres Sohnes eine Ausbildung angefangen: "Ich wurde schwanger, dann habe ich die Ausbildung abgebrochen." Als sie im Jahr 2014 nach der Elternzeit und nach der Trennung von ihrem Partner ins Jobcenter ihres Sozialbürgerhauses ging, wollte sie Arbeit statt Ausbildung, wie Yasin Aytemur erzählt, um nicht länger auf staatliche Unterstützung angewiesen zu sein. Doch für ihn als Arbeitsvermittler des Jobcenters war das der falsche Weg, um längerfristig unabhängig zu bleiben: "Ich bin nicht darauf eingegangen." Und Andra Bunica setzt hinzu: "Zum Glück."

Es war, das lässt sich unschwer heraushören, kein ganz einfacher Weg: "Es ist alles passiert, was passieren kann", sagt Bunica. Der alte Arbeitgeber hatte keine Stelle frei. Weitere Versuche in anderen Praxen scheiterten nach kurzer Zeit. "Das Muster war immer gleich", sagt Aytemur: "Zunächst zeigen die Arbeitgeber Verständnis für die Situation einer alleinerziehenden Mutter. Im harten Arbeitsalltag ist davon aber nur noch wenig zu spüren." Allen Schwierigkeiten zum Trotz habe Bunica viel Engagement entwickelt, "die Zähne zusammengebissen" und im fünften Anlauf einen "Superabschluss" gemacht, berichtet Aytemur nicht weniger stolz.

Kind und Ausbildung in Vollzeit - das funktioniert nicht

Das bräuchte er dem Zahnarzt Michael Gleau gar nicht eigens zu erklären, der ist von seiner Mitarbeiterin ohnehin begeistert. Eine Auszubildende in Teilzeit hatte er in seiner Praxis in Sendling vorher nicht gehabt; "es war ein Glück, dass er dafür offen war", sagt Andra Bunica. Denn mit ihren Versuchen, die Lehre in Vollzeit zu absolvieren, war sie zuvor gescheitert.

Wer auf Kinderbetreuung angewiesen ist - ihr Sohn ist gerade erst in die Schule gekommen -, muss sehen, dass er abends rechtzeitig rauskommt. Und dem kann auch passieren, dass er mal zwei Tage zu Hause bleiben muss, weil das Kind Fieber hat. "Das kommt vor", sagt Gleau, "aber ich bin gewohnt, damit umzugehen", zumal ohnehin fast nur Frauen in diesem Bereich arbeiteten. Und man merke, ob jemand Fehlzeiten ausweite.

Gleau, der sich auch berufspolitisch engagiert, ist begeistert von der Teilzeit-Ausbildung, weil sie nicht nur Frauen neue Chancen bietet, sondern auch die Möglichkeit, damit den eklatanten Mangel an Fachkräften abzumildern. Zugleich hat er aber Verständnis für die Probleme der Mütter: "Gerade in den Abendstunden müssen sie pünktlich rauskommen. Da machen wir oft zu lange, weil es oftmals so ist, dass man um sechs Uhr nicht pünktlich den Bohrer fallen lassen kann."

Und aus ihren abgebrochenen Vollzeitausbildungen weiß Andra Bunica, dass es Unfrieden geben kann, wenn dann immer die länger bleiben müssen, die keine Kinder haben. Da müsse man einfach dafür sorgen, dass die Kolleginnen auch mal früher gehen können, um das auszugleichen, sagt Gleau.

"Es ist schön, wenn es Arbeitgeber gibt, die sagen, ich mache die Teilzeit-Ausbildung möglich", sagt Valeria Holsboer, Vorstand Ressourcen der Bundesagentur für Arbeit. "Gerade für Frauen, die schon ein Kind haben, ist das wichtig" - und für die Arbeitgeber, denen Auszubildende fehlen, durchaus ein Gewinn. 1400 Ausbildungsplätze sind in diesem Jahr frei geblieben. Die versuche man, in Teilzeit zu besetzen, erklärt Wilfried Hüntelmann, der Chef der Münchner Arbeitsagentur.

Allein in den hiesigen Arzt- und Zahnarztpraxen waren noch 140 Stellen als unbesetzt gemeldet. "Eine Berufsausbildung auch mit 30 Jahren noch nachzuholen, lohnt sich." Von jungen Müttern könnten Arztpraxen wiederum sehr profitieren, wirbt Jobcenter-Geschäftsführerin Farrenkopf: "Sie sind die besten Organisationstalente, das erlebe ich bei mir im Büro immer wieder."

Langfristig sicher ist der Arbeitsplatz in der Zahnarztpraxis allemal: "Zahnärzte wechseln nicht gern", sagt Gleau. "Die Chemie muss passen, ein bisserl Leidenschaft dazu kommen, der Beruf sollte Freude machen und Verständnis für die Patienten da sein - das seien die Eigenschaften, die eine gute Helferin braucht. "Eigentlich ist sie ja ein kleiner Zahnarzt, sie muss wissen, wo sie welches Instrument hinlegt, und eng mit mir zusammenarbeiten."

Der Stress darf nicht auf die Kinder übergehen

Für Andra Bunica kein Problem. Denn das gegenseitige Verständnis ist da: "Für mich steht mein Kind an erster Stelle. Für ihn ist die Praxis wie sein Kind." Schwierig war vor allem der Beginn: "Ich hatte zwar den Ausbildungsvertrag in der Tasche, aber fünf Absagen für einen Kita-Platz bekommen. Aber auch da hat es mein Arbeitsvermittler geschafft, mich wieder aufzubauen." In letzter Minute bekam sie doch noch einen Platz. Der Druck war aber auch danach hoch: "Mein Sohn kam als erster in den Kindergarten - und als letzter wieder raus." Es erfordere viel Disziplin, sagt Valerie Holsboer, "Ruhe zu bewahren und den Stress nicht auf die Kinder zu übertragen".

Für Bunicas Arbeitsvermittler waren die vergangenen drei Jahre ein "gemeinsames Projekt, bei dem man mitfiebert". Es sei wichtig, den Menschen einen Vertrauensvorschuss zu geben. "Dann spürt man, was jemand will" - und könne ihm dabei helfen, nicht aufzugeben. "Da habe ich sie an ihrem Ehrgeiz gepackt." Und weil Andra Bunica viele Notsituationen gemeistert hat, ist Aytemür überzeugt: "Sie wird sicher eine gute Praxismanagerin." Nicht nur ihr selbst ist wichtig, jetzt einen Beruf zu haben, der sie und ihren Sohn ernähren kann. Der ist nicht minder stolz, wenn er nun in der Schule erzählen kann, wo seine Mutter arbeitet: "Meine Mama ist beim Zahnarzt."

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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