Au:"Warum sprechen wir mit Autos?"

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Ein gecrashter Audi-SUV ist Spielstätte und Protagonist der interaktiven Audioinstallation "Hard drive" auf dem Mariahilfplatz. Das Objekttheater der Künstlergruppe "O-Team" stellt die Frage nach der Freiheit des Menschen in einer vernetzten Welt

Von Johannes Korsche

Allem Anfang wohnt ein Unfall inne, so ließe sich der Essayband "Der eigentliche Unfall" des postmodernen Fortschrittsskeptikers Paul Virilio zusammenfassen. Oder wie Antonia Beermann sagt: "Die Erfindung des Autos ist auch die Erfindung des Autounfalls." Beermann ist Mitglied der Stuttgarter Künstlergruppe "O-Team", die in Zusammenarbeit mit dem Theater HochX den Mariahilfplatz in der Au von Freitag, 20. September, an bespielen wird. "Hard drive" haben sie die interaktive Audioinstallation getauft, bei der sich die Besucher zu viert in einen gecrashten 2004-er Audi-SUV setzen. Das Kunstprojekt will das kreative Potenzial von Unfällen sichtbar machen. Und dabei Fragen stellen, wie unsere Gesellschaft mit dem technologischen Fortschritt umgeht, welche Schattenseiten die neuen Entwicklungen bergen und wer in unserer Zeit eigentlich wen programmiert: "Was für Freiheiten geben wir an die Maschinen ab?", fragt Beermann.

Rauch und verbeultes Blech: Ein Unfall kann auch kreatives Potenzial in sich bergen, wie das O-Team in der Au zeigt. (Foto: O-Team/oh)

Einmal in dem Crash-Auto Platz genommen, führt eine künstliche Stimme aus den Autolautsprechern durch die nächste Dreiviertelstunde. Besucher müssen während der Installation Entscheidungen treffen, die den Verlauf der Geschichte beeinflussen. Kontakt mit Beermann oder ihren Kollegen wird es nicht geben. Das "Unfallauto ist Spielstätte und Protagonist", sagt sie. Und gelangt damit zum Kern, wie sie und das O-Team Theater sehen. Komplett anders nämlich, als das, was man gemeinhin unter Theater verstehen würde: "Einer geht über die Bühne und ein anderer schaut zu", fasst Ute Gröbel, Leiterin des HochX, zusammen. Das O-Team stelle die Frage, was passiert, wenn man den Menschen als Darsteller aus dieser Situation rausnimmt. Damit bewege sich die Gruppe in einer Kunstform, die in München bisher unterrepräsentiert sei: das Objekttheater. Dass sich das nicht in kopfgeborener Langeweile verliert, liegt wohl auch daran, dass das O-Team spielerisch mit einer "gewissen Rotzigkeit" an seine Themen herangeht, wie Beermann sagt. "Wir scheuen uns nicht, Dinge ein bisschen zu groß oder zu klein zu denken." Ein Auto crashen und ein interaktives Computerprogramm schreiben? Für sechs Vorstellungstage auf dem Mariahilfplatz? Na klar, warum nicht.

Besucher müssen während der Installation Entscheidungen treffen, die den Verlauf der Geschichte beeinflussen. (Foto: O-Team/oh)

Schon der Ort der Installation ist groß gedacht. Denn dass Events wie "Hard drive" auf dem Mariahilfplatz erlaubt werden, ist eine Seltenheit, vielleicht ist das Projekt sogar eine Art Präzedenzfall. Denn normalerweise lehnen die Lokalpolitiker Veranstaltungen auf dem Mariahilfplatz kategorisch ab. Zu sehr sei der bereits von den Dulten und den Wochenmärkten beansprucht. Den Anwohnern sei damit schon genug zugemutet, argumentieren einige Mitglieder im Bezirksausschuss dabei immer. Außerdem gebe es einen jahrealten Beschluss aus einer Einwohnerversammlung, der sich gegen zusätzliche Events ausspricht. Doch auf der Suche nach einem geeigneten Ort, der fußläufig vom HochX liegt und auf dem die Installation länger als drei Tage stehen darf, fiel der Blick schnell auf den Mariahilfplatz.

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Gröbel wollte "nicht an die klassischen Kunstorte" in der Au, lieber in den öffentlichen Raum, wo Passanten die Kunst nicht erwarten. Auch eine viel befahrene Kreuzung habe sie sich überlegt, aber wegen der Reaktionen der Autofahrer auch wieder verworfen. Beermann freut sich schon auf die Kulisse, die der Mariahilfplatz bietet. "Gerade an Regentagen im Herbst" oder wenn das Auto "mittendrin im Nebel" steht, die vier Besucher verloren über den Platz zum Auto schlendern, im Hintergrund die altehrwürdige Kirche thront - "ja, das wird gut aussehen", ist sich Beermann sicher.

Das Objekttheater der Künstlergruppe stellt die Frage nach der Freiheit des Menschen in einer vernetzten Welt. (Foto: O-Team/oh)

Ein gecrashtes Auto mitten in der Autostadt München, "vielleicht schafft das schon ein Reizbild", hofft Beermann. Seit Mitte März beschäftigt sie sich intensiv mit dem Thema Unfall, recherchiert zum autonomen Fahren und künstlicher Intelligenz. Aufgefallen ist ihr dabei auch Abseitiges: In Imagevideos der Autobranche, die das autonome Fahren als die Mobilität der Zukunft feiern, zeigten sich erstaunlicherweise "Rollenbilder aus den 50er- und 60er-Jahren: eine heteronormative Familie mit zwei Kindern": Der Mann arbeite, die Frau kümmere sich um die Kinder. Ziemlich gestrig für eine Zukunftsvision. "Gruselig", findet sie das. Außerdem seien die autonomen Autos in den Videos immer hell, "deswegen wollte ich unbedingt ein silbernes" für die Installation. Dass der ursprünglich fahrtüchtige SUV, den das O-Team für Hard drive vom Schrottplatz geholt und selbst auf einen Container voller Bauschutt gelenkt hat, silbern glänzt, ist daher kein Zufall.

Ute Gröbel (links) vom Theater HochX hat das "O-Team" um Antonia Beermann für mehrere Projekte nach München geholt. (Foto: Stephan Rumpf)

An der gezielt ausgewählten Autofarbe lässt sich noch eine weitere "Grundfrage für uns" festmachen, sagt Beermann. Jene, nach der Freiheit des Menschen in der vernetzten Welt des autonomen Fahrens: Wie frei ist der Mensch, wenn sein Alltag von Technik bestimmt wird, die streng nach Algorithmen entscheidet? Denn das selbstfahrende Auto fordert eine Welt, "in der es nichts gibt, was nicht vernetzt ist. Es gibt dann kein Außen mehr." Kein Leben außerhalb der maschinellen Entscheidung. Zufällige, glückliche Entdeckungen - "Serendipität", nennt sich das - gibt es in dieser Welt nicht mehr. Der Algorithmus kann nicht berücksichtigen, was er nicht kennt.

Das Theater, sagt Beermann, ermögliche es, die Fragen dieses Miteinanders von Mensch, Maschine und Natur anders zu diskutieren, als mit philosophischen Texten. "Wir können im Theater sinnlich davon träumen." So sind beispielsweise die Entscheidungen, die der Hard-drive-Besucher trifft und die den Verlauf der erzählten Geschichte beeinflussen, eigentlich lediglich die Simulation von Entscheidungsfreiheit. Schließlich bestimmt das Computerprogramm den Moment der Entscheidung, die Wahlmöglichkeiten und die Konsequenzen der Entscheidung. "Wie frei bin ich eigentlich in so einer Situation?"

Vielleicht lässt sich eine weitere Beobachtung von Beermann, mit dem Ausgeliefertsein begründen. Denn, wer sich mit künstlicher Intelligenz beschäftige, stoße schnell auf "Strategien der Vermenschlichung" von Maschinen, erzählt Beermann. Das Auto, in Deutschland ohnehin schon besonders verehrt, wird im alltäglichen Umgang zum "normalen" Gesprächspartner: "Spring' jetzt an! Verdammt, spring' an!" Nur: "Warum sprechen wir mit Autos? Als ob das etwas beeinflusst", wundert sie sich. Wie sehr uns diese technischen Geräte schon "trainiert" haben, wie es Antonia Beermann nennt, soll bei der Installation auch offengelegt werden.

Hard drive ist der Auftakt der zweijährigen Projektreihe "Crash", die das O-Team in Zusammenarbeit mit dem HochX und dem Theater Aalen umsetzt. Die Kulturstiftung des Bundes fördert die Reihe finanziell, deren zweiter Teil "Wetware" im März 2020 im HochX Premiere hat. Insgesamt sind vier Projekte des O-Teams in der Projektreihe geplant.

Hard drive hat am Freitag, 20. September, mit drei Vorstellungen von 16 Uhr an Premiere. Weitere Termine: Samstag und Sonntag, 21./22. und 28./29. September, je sechs Vorstellungen sowie am Freitag, 27. September, vier Vorstellungen. Karten im Vorverkauf sind für 21,50 Euro, inklusive Vorverkaufsgebühr, erhältlich.

© SZ vom 06.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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