AnnenMayKantereit in München:Zurück zur ursprünglichen Kratzigkeit

Lesezeit: 3 min

Ausflug in die Spätpubertät: AnnenMayKantereit beim Konzert im "Wanderzirkus" hinter dem Zenith. (Foto: Robert Haas)

Beim Exklusiv-Konzert im Zirkuszelt an einem streng geheimen Ort zeigen AnnenMayKantereit, dass sie eine hervorragende Live-Band sind. Mit immensem Crush-Potenzial.

Konzertkritik von Christiane Lutz

Mit einer Mini-Tour in der großen Tour haben AnnenMayKantereit gerade ihre Fans überrascht. Für vier Konzerte in Köln, Berlin, Hamburg und München lud die Band zum Konzert in ihren "Wanderzirkus" ein. Am Mittwoch spielten sie in München. Der Ort - der Platz hinter dem Zenith - war bis kurz vor dem Konzert geheim, für eine Karte musste man ein recht nervenaufreibendes Losverfahren überstehen.

Warum tun wir uns das an?

Weil AnnenMayKantereit als der heiße Scheiß der Stunde gehandelt werden und man die Chance nutzen sollte, diese Band live zu sehen, bevor ihnen entweder der Erfolg zu Kopfe steigt oder sie im Zenith auftreten müssen. Oder man eins der rund 600 exklusiven Tickets für den "Wanderzirkus" ergattert hat, nachdem man in einem Losverfahren ausgewählt wurde und dann innerhalb der nächsten 48 Stunden die Karte käuflich erwerben durfte.

Was haben wir uns von dem Konzert erwartet?

Nicht weniger als ein Fest der Jugend, einen Ausflug in die eigene Spätpubertät. Denn so haben AnnenMayKantereit ja angefangen. Als Schüler- und später Studentenband in ausgelatschten Adidas-Sneakers und abgetragenen T-Shirts haben sie in der Kölner Fußgängerzone Musik gemacht, Straßenmusik. Seit der Kelly Family konnte keine Band mehr mit solcher Musik derart viel Eindruck hinterlassen. Straße bedeutet, dass man die Band irgendwann mal anfassen konnte. Straße bedeutet: authentisch, bedeutet: wertvoller als der ganze zusammengecastete Kurzstrecken-Pop, von dem die Masse sich bereitwillig beschallen lässt. Erstaunlich, dass Henning May, Christopher Annen, Malte Huck und Severin Kantereit gerade erst frisch auf der Welt waren, als die Kelly Family ihre Erfolge feierte.

SZ MagazinPopmusik
:Vier Jungs, die man gern haben möchte

AnnenMayKantereit ist eine der erfolgreichsten Bands Deutschlands. Hoffentlich schadet ihnen ihre neueste Idee nicht: ein Debüt-Album.

Von Max Fellmann

AMK, wie Fans sagen, sind also immer noch sehr, sehr jung. Und das hört man ihrer Musik auch an. Dafür sind sie arg geschimpft worden, nachdem vergangene Woche ihr Debütalbum "Alles nix Konkretes" erschien. Manchen Kritikern war das Album textlich zu lasch, zu harmlos. Zu viel Geschichten von Herzschmerz im Hochbett und von ungeputzten Bädern, zu wenig Revolution und Rio Reiser. Auf Letzteren kommen Journalisten im Zusammenhang mit Henning May sehr gern zu sprechen, vielleicht weil May eine ähnlich bluesig-herbe Stimme hat. Der aufgeregte Vorwurf an die AMK-Generation lautet dann stets: "Der Reiser, ja, der war politisch. Wie kann euer Horizont an der Schwelle der WG enden, wo die Welt dahinter gerade den Bach runter geht?"

Es gilt also an dem Abend auch zu gucken, ob sich AMK in irgendeiner Weise von Kritik und Gegenwind beeindrucken lassen.

... und wie war's dann?

Von Popcornduft umwehte Straßenmusik. Keine Frage, AnnenMayKantereit sind eine hervorragende Live-Band. Stücke wie "Pocahontas" oder "Barfuß am Klavier", die auf dem Album zu schmiegsam gemacht wurden, finden auf der Bühne zu ihrer ursprünglichen Kratzigkeit zurück.

Mit Straßenmusik war seit der Kelly Family niemand mehr so erfolgreich wie AMK. (Foto: Robert Haas)

AMK mögen nicht die begnadetsten Musiker des Planeten sein, aber sie sind verdammt gut aufeinander eingestellt und spielen sich einmal quer und souverän durchs neue Album. Ihre Attitüde: Vier Kumpels mit Hang zum Understatement. Sie fordern artig Applaus für all ihre Helfer und die Zeltaufbauer. Sie bedanken sich bei den Fans, auch wenn sie mit dem Song "Du bist überall" den allgegenwärtigen Smartphone-Wahn kritisieren und somit auch ihre eigenen Fans, die selbstredend auch während dieses Konzerts ihre Gerätchen schwenken und wackelige Videos für die Ewigkeit drehen.

Mit der Nummer "James", die es nicht aufs Album geschafft hat, und einem Cover von "Sunny" von Bobby Hebb zeigt die Band außerdem, dass sie dem Blues gewachsen ist, ja im Blues vielleicht noch mehr zuhause ist als im Singer-Songwriter-Folk. Man will sie einfach jammen hören, in Hauseinfahrten und winzigen Bars, zur Not auf Bühnen. Zumindest die Erwachsenen wollen das, von denen übrigens eine Menge anwesend sind. Die Teenager-Mädels scheinen, am Lautstärkepegel gemessen, doch eher auf die Schmusenummern zu stehen.

Pop-Kolumne
:Debütalbum von AnnenMayKantereit: Nehmt euch nicht so ernst, Jungs

Wer "Alles Nix Konkretes" hört, ist froh, dass die schreckliche Zeit namens Jugend vorbei ist.

Off the Record: die Pop-Kolumne von Kathleen Hildebrand

Nebenbei bemerkt ist das Crush-Potenzial der Band ist natürlich immens: Ein bisschen verknallt ist so ziemlich jeder nach knapp eineinhalb Stunden AMK. Und es bleibt das gute Gefühl, in der Turbobeschleunigungsmaschine des Pop, in der AnnenMayKantereit gerade mit Vollgas unterwegs sind, noch einen besonderen Moment mit der Band erwischt zu haben.

Der beste Moment des Abends?

Der, in dem man als Zuschauer das Zelt betritt und feststellt, dass das mit dem "Zirkus" im "Wanderzirkus" tatsächlich ernst gemeint war: Stelzenkünstler, Artisten, ein Zauberer, der seine Bälle verschwinden lässt. Es duftet nach Popcorn. Das gibt es am Popcorn-Stand zu kaufen, bis die Tüten ausgehen.

Das Konzert wäre nichts für Sie gewesen, wenn...

...Sie tatsächlich der Meinung sind, Musik dürfe nicht einfach nur Spaß machen, sondern müsse stets einen inhaltlichen, diskursiven Überbau anbieten, an dem Sie sich geistig abarbeiten können.

Der Preis für den Edelfan geht an...

den Typen links vom Soundmischpult mit dem kleinen Zöpfchen, der konsequent nach jedem Song grölte, High-Fives verteilte und die trägen Teenager mit dem Satz animierte: "Come on, das ist ein Konzert - und keine Beerdigung!"

Henning May klingt ein bisschen wie Rio Reiser, nur nicht so politisch. Auf der Bühne finden die Songs zu ihrer ursprünglichen Kratzigkeit zurück. (Foto: Robert Haas)

Am 19. und 20. April spielen AnnenMayKantereit in der Muffathalle - beide Termin sind längst ausverkauft.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: