Altstadt:Weiterleben lernen

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Für verwundete Seelen: Im Café des Evangelischen Bildungswerks kümmern sich ehrenamtliche Helfer um die Trauernden. (Foto: Robert Haas)

Im "Café für die Seele" bietet das Evangelische Bildungswerk Trauerbegleitung an. Leiter Volker Herbert, ehrenamtliche Helfer und Besucher begehen jetzt das zehnjährige Bestehen der Einrichtung

Von Jana Sauer, Altstadt

Der Sohn bleibt nach einem Abend mit den Kumpels länger weg als vereinbart, die Frau stürzt vom Pferd. Im Radio geht es um einen schweren Unfall auf der Strecke, die der Bruder jeden Tag zur Arbeit fährt. Den jähen Schreckmoment, die markerschütternde Angst, das Schlimmste könnte geschehen sein, kennen viele. Diejenigen, die nicht kurz darauf erleichtert aufatmen können, die erfahren müssen, dass ein geliebter Mensch nie wieder nach Hause kommen wird, fängt seit Winter 2008 das Trauercafé des Evangelischen Bildungswerkes (EBW) München auf. An diesem Montag feiern Trauernde und Ehrenamtliche die gemeinsame Leistung der vergangenen zehn Jahre.

Wer zu leben lernen will, muss zuerst lernen, zu sterben, befand der dänische Philosoph Søren Kierkegaard. Ähnlich sieht es Volker Herbert, Leiter des "Cafés für die Seele". Der pensionierte Pfarrer und Dekan ist überzeugt, das Rezept für ein glückliches Leben bestehe darin, "abschiedlich" leben zu lernen: "Das schließt den Abschied von Orten, von Tieren und lieben Menschen ein, und auch den eigenen Tod." Herbert ist selbst betroffen, verlor seinen Sohn im Säuglingsalter und musste einen Weg finden, mit sich und dem eigenen Glauben wieder ins Reine zu kommen: "Die erfüllende Kraft des Trauerwegs sind individuelle Gefühle. Den einen kann der Schmerz vorantreiben, den anderen die Fähigkeit, eigene Schuldgefühle zu befrieden und das Unabänderliche zu akzeptieren." Auch den Trauernden im Café erzählt er von seiner persönlichen Geschichte. Nicht weil er kompetente Betroffenheit demonstrieren will, sondern um Türen zu öffnen.

Ein Nachmittag im Café für die Seele beginnt auf den ersten Blick ganz alltäglich: Kaffee und Kuchen stehen griffbereit, zwölf bis 15 Freiwillige warten. Langsam treffen die ersten Besucher ein, verteilen sich zwanglos in einzelnen Gruppen, in der Regel kommen etwa 50 Leute. Gespräche setzen ein. Wer ist zum ersten Mal hier, wer kommt regelmäßig? Nur eine hauchdünne Schicht darunter liegt das, was schmerzhafter nicht sein könnte: Die Frage, wie es weitergehen kann, nachdem das Unvorstellbare geschehen ist. Nahezu immer an einem der Tische zu finden ist Heidrun Strych. Die ehrenamtliche Trauerbegleiterin arbeitete früher freiwillig in einem Hospiz, mit ihrem kleinen Hund Tom. Er half, Sterbenden und Angehörigen ein bisschen Freude zu bringen. Für die, die gehen mussten, sei ganz gut gesorgt gewesen, erzählt die gelernte Krankenschwester. Schlechter habe es für diejenigen ausgesehen, die blieben. Eine Geschichte berührte sie ganz besonders. Es war die einer Frau, die gerade ihren Ehemann verloren hatte und sich nicht vorstellen konnte, allein weiterzumachen. "Ich beschloss, eine Gruppe zu gründen, die diese Menschen unterstützt. Wenige Tage später las ich in der Zeitung, dass mir jemand zuvorgekommen war", berichtet die Helferin, die seit dem ersten Treffen 2008 dabei ist.

Wer kommen wird, ist im Voraus nie klar, das Angebot soll möglichst niedrigschwellig sein. Viele Menschen tun sich unter der emotionalen Belastung durch einen Verlust mit verbindlichen Zusagen schwer. Wer nicht weiß, wie er den nächsten Tag überstehen soll, möchte keine Versprechungen machen. In dem geschützten Raum unter der Leitung Herberts und seiner neuen Kollegin Iris Geyer - beide erhalten eine Aufwandsentschädigung - muss niemand etwas versprechen, nicht einmal erzählen. Manchmal genügt schon das Zusammensein mit anderen, die in derselben Situation sind. So entstehen mitunter Verbindungen, die über die monatlichen Café-Treffen hinausgehen. Besucher finden sich zusammen, gehen gemeinsam auf den Friedhof, stehen einander bei.

Oft stellen sich auch Hilfseinrichtungen vor, Telefonseelsorgen und Notfalldienste zum Beispiel. Eine Art Infobörse wollen die Freiwilligen bieten, Adressen bündeln und weitergeben. Diese Angebote sind wichtig, therapeutische Arbeit können die Ehrenamtlichen nicht leisten. Viele haben einen beruflichen Hintergrund aus dem Bereich Hospizpflege, alle werden regelmäßig aus- und weitergebildet. Strych betont: "Die Themen Trauer und Tod sind immer noch tabuisiert, es ist schwer, einen unbefangenen Umgang damit zu entwickeln. In unserem Café ist das anders, hier sind alle betroffen. Wir sehen uns vor allem als Begegnungsort."

Zur Feier "Zehn Jahre Café für die Seele" an diesem Montag, 3. Dezember, lädt das Evangelische Bildungswerk München von 15 bis 17 Uhr in die Herzog-Wilhelm-Straße 24. Das Café öffnet an jedem ersten Montag des Monats um 15 Uhr.

© SZ vom 03.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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