Altstadt:Nachdenken über Shylock

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Booker-Preisträger Howard Jacobson sieht sich selbst eher als "die jüdische Jane Austen als der englische Philip Roth". (Foto: Juan Martin Misis/dpa)

Howard Jacobson liest in der Kammer 3

Von Jutta Czeguhn, Altstadt

Howard Jacobson nennt sich selbst einen "Raconteur", einen Geschichtenerzähler. Eine wunderbare Anekdote hat der Schriftsteller beispielsweise über die Verleihung des renommierten Booker-Preises 2010 parat, den er als erster jüdisch-britischer Autor gewann. Jacobson erzählt sie gerne in Interviews und bei Lesungen, vielleicht auch an diesem Samstag, 20. Mai, in der Kammer 3 der Kammerspiele. Falls nicht - die Geschichte geht ungefähr so: Wochen vor der Verleihung des Literaturpreises, Jacobson ist noch auf der Longlist mit seinem Roman "Die Finkler-Frage", seine hochbetagte Mutter ruft an. "Darling, sei mir nicht böse, aber du wirst diesen Preis nicht gewinnen, das Buch ist zu jüdisch." Die Wochen vergehen, er ist nun auf der Shortlist, die landesweit übertragene Booker-Preis-Zeremonie steht an. Mama Jacobson versichert ihrem Sohn, sie werde nicht zusehen, weil er ja nicht gewinnen würde. Jacobson holt den Preis, eine Welle von Pressekonferenzen schwappt über ihn hinweg. Erst spät am Abend ruft er Zuhause an, im Hintergrund Party. Die Mutter gibt zu, dass sie doch vor dem Fernseher gesessen habe, nur für den Fall. Doch ist sie stinksauer auf die BBC, denn just in dem Moment, da ihr Sohn zu seiner Dankesrede anhob, wurde die Übertragung durch eine Live-Schaltung nach Chile unterbrochen, wo die Grubenarbeiter nach 69 Tagen aus ihrer Mine befreit wurden.

Der Booker-Preis hat Howard Jacobson über Großbritannien hinaus bekannt gemacht, die Bücher des 74-Jährigen erscheinen mittlerweile auch auf Deutsch. So auch sein Roman "Shylock is my name", den er in der Kammer 3 lesen und diskutieren wird. Wieder geht es um die Finkler-Frage: Was bedeutet es, Jude zu sein? In Jacobsons Text, einer von vielen Shakespeare-Cover-Versionen, die 2016 zum 400. Todesjahr des Dramatikers entstanden, taucht die Figur aus dem "Kaufmann von Venedig" im 21. Jahrhundert auf. Tobias Döring von der Deutschen Shakespeare-Gesellschaft, der den Abend in der Kammer 3 auch moderieren wird, nannte das Buch in der FAZ "eine ebenso spannende wie wichtige Lektüre".

"Shylock is my name", Lesung und Gespräch mit Howard Jacobson, auf Englisch und Deutsch. Samstag, 20. Mai, 18 Uhr, Kammerspiele, Kammer 3, Hildegardstraße 1. Julia Riedler liest den deutschen Text, Tobias Döring moderiert. Karten unter www.muenchner-kammerspiele.de, Telefon 23 39 66 00

© SZ vom 20.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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