Altstadt:Heißer Kampf ums Pflaster

Lesezeit: 3 min

Kaum sind die Autos aus dem Münchner Stadtkern verbannt, wittern die Wirte ihre Chance und beantragen zusätzliche Freischankflächen. Politiker im Viertel sprechen vom "Super-Monopoly" der Großgastronomen

Von Julian Raff, Altstadt

Dass Münchens historischer Stadtkern nach und nach weitgehend autofrei werden soll, ist für Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erklärtes Ziel. Im Bezirksausschuss (BA) Altstadt-Lehel ist man aber nicht so sicher, ob Fußgänger damit in Zukunft freie Bahn haben: Kaum dass Trottoirs verbreitert oder Straßen ganz gesperrt werden sollen, bekommen die Stadtteilvertreter Anträge auf Genehmigung und Erweiterung von Freischankflächen auf den Tisch. Mit dem BA in der Schiedsrichterfunktion entbrennt ein neuer Konkurrenzkampf um die Flächen, diesmal zwischen Passanten und Wirten.

Zum Tal, wo die Fahrbahn 2013 verschmälert wurde und eines Tages vielleicht ganz verschwinden wird, haben die Lokalpolitiker vor sechs Jahren einen grundsätzlichen Erweiterungsstopp für die Außengastronomie beschlossen, damit Einheimische und Touristen den versprochenen Platz zum Flanieren auch wirklich bekommen. Allerdings hat der BA in der Zwischenzeit Anträge auf neue Sitzgarnituren akzeptiert und sieht sich nun veranlasst, die Balance zwischen Gastgewerbe und Freiraum neu zu justieren.

Mehr Plätzeam Platzl. Auch Starkoch Alfons Schuhbeck hat für seinen Gastrokomplex dort 15 weitere Außenplätze beantragt. (Foto: Florian Peljak)

Für bestehende, echte Fußgängerzonen wie die Residenz-, die Theatiner- und die östliche Sendlinger Straße hat das Gremium die stadtweit einmalige "Modullösung" erarbeitet - eine Art Flächennutzungsplan, der Zonen für die Bewirtung unter freiem Himmel festlegt - auch dort, wo Wirte diese noch nicht konkret beantragt haben. Die mühsam mit der Verwaltung ausgehandelten Module will der BA aktuellen Wünschen nicht mehr anpassen, wie das Beispiel des Alten Hackerhauses an der Sendlinger Straße zeigt.

Die Grundsatzdiskussion ausgelöst hatte ein Antrag des Schneider Bräuhauses, bekannter als "Weißes Bräuhaus", im oberen Tal von September 2018: Zusätzlich zu den auf 117 Quadratmetern vorhandenen 150 Sitzplätzen will der Wirt 50 weitere auf 33 Quadratmetern in Richtung Maderbräustraße/Sparkassenhaus. Der großzügige Innenraum mit seinen 660 Plätzen war im langen, heißen Sommer 2018 oft leer geblieben, während die Außentische belagert wurden. Mit dem Klimawandel verlagert sich das gastronomische Geschehen nicht erst seit 2018 zusehends auf die Gehsteige. Direkt dem Bräuhaus gegenüber hat im Herbst auch die Burger-Kette "Hans im Glück" eine Erweiterung ihres Freisitzes von 48 auf 56 Plätze beantragt. Mit der Aufhebung seines Grundsatzbeschlusses von 2013 will der BA nun beide Anträge erneut prüfen und die Lage an Ort und Stelle begutachten. Eine Genehmigung fürs Bräuhaus hängt auch davon ab, ob und wo die Stadt dort neue Fahrradständer aufstellen will. Mit der Neubewertung reagieren die Stadtteilvertreter auf den Vorwurf der Ungleichbehandlung, nachdem im Tal das "Little London", der "Stiftl" und der "Tegernseer" neue Freisitze bekommen haben. Das letzte Wort hätte im Konfliktfall ohnehin der OB.

Im Tal sollen ebenfalls Freischankflächen hinzukommen. (Foto: Florian Peljak)

Allzu nachgiebig will der Bezirksausschuss künftig gegenüber den Wirten aber nicht auftreten, ansonsten drohe der Altstadt ein "Super-Monopoly" der Großgastronomen und internationalen Ketten, befürchtet Stefan Blum (CSU), Vorsitzender des Gastronomie-Unterausschusses. Einen "Tsunami" des Kommerzes sieht auch Peter Arnold vom Münchner Forum durch Münchens Touristenmeilen rollen. Entsprechend hart zeigte sich der BA einem Antrag das Hackerhaus-Wirts Paul Pongratz gegenüber. Pongratz sitzt selbst für die CSU im Gremium, wo er an Debatte und Beschluss nicht teilnahm. Auf SZ-Anfrage begründet er sein Anliegen als Tausch: Der kleinere Freisitz am Beginn der Hackenstraße vertrage sich schlecht mit dem Anlieferverkehr, weshalb er ihn gerne zur Verfügung stellen und dafür die Hauptfläche in der Sendlinger Straße erweitern würde. Mit der einstimmigen Ablehnung stützt sich der BA unter anderem auf das "Nein" der Branddirektion und der mit Denkmalschutz und Stadtgestaltung befassten Behörden.

Wie schnell die Gastronomie auf Landgewinn reagiert, zeigt sich etwa in der Dienerstraße, deren Südteil mit dem Rückbau der Radfurt der Fußgängerzone einverleibt wurde. Der Ratskeller beantragt 30 Sitzplätze, was die Stadtbehörden positiv sehen, während der BA den Fall noch begutachten will. Kein Plazet erhält vorerst Alfons Schuhbeck, der seinen Gastro-Komplex am Platzl um einen Pizzabäcker erweitert hat. Der BA sagt Nein zu 15 Außenplätzen - zumindest solange das frühere Ladenlokal nicht offiziell zur Gaststätte umgewidmet ist. Er sieht aber auch den Durchgang nach Norden zum Kosttor unnötig beengt. Einige Meter weiter, im "Shoya" an der Orlandostraße, gehört eine gewisse Enge indes zum Konzept: Im Platz sparenden Ambiente der Sushibar klappen vor allem japanische Touristen die Ellbogen ein. Entsprechend schmal ist der Streifen für neun Außenplätze geschnitten - im Verwaltungsdeutsch eine "Sitzbagatelle", mit der Behörden und Bezirksausschuss kein Problem haben.

© SZ vom 26.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: