Altstadt:Harte Linie, weicher Ausstieg

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Nur per pedes erreichbar, aber nicht mit dem Pkw: Die Sendlinger Straße ist von den Fußgängern bereits erobert worden. (Foto: Robert Haas)

Der Bezirksausschuss Altstadt-Lehel begrüßt fraktionsübergreifend die Pläne für eine autofreie City. Dazu gehört, dass die öffentlichen Parkplätze im Viertel stufenweise innerhalb von fünf Jahren abgebaut werden

Von Julian Raff, Altstadt

Wer heute noch per Auto zum Stadtbummel anreist, ist in der Regel Tourist oder Besucher aus dem Umland und bereut seine Entscheidung meist schnell. Bürgerproteste gegen das Projekt von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) für eine autofreie Altstadt waren bisher jedenfalls kaum zu hören. Das könnte auch daran liegen, dass die etwa 22 000 Bewohner des Stadtbezirks Altstadt-Lehel in der Stadtgesellschaft eine Minderheit bilden. Ihre Vertreter im Bezirksausschuss (BA) haben auf der Suche nach einem Interessenausgleich ein fraktionsübergreifendes Positionspapier verabschiedet, das nun an den OB, die beteiligten Referate und die 24 anderen BAs geht, vor allem aber an den Stadtrat, der noch heuer einen Grundsatzbeschluss zur autofreien Altstadt fassen könnte.

Die Anwohnerinteressen in dem - gemessen an der Einwohnerzahl - kleinsten Münchner Stadtviertel finden sich weit oben im Papier, mit der Forderung, Wohnungen müssten "unmittelbar" und "fußläufig" erreichbar bleiben. Reservierte Anwohnerparkplätze will der BA also erhalten oder ausbauen. Öffentliche Stellflächen möchte er dagegen aus der Altstadt verbannt sehen, wenn auch mit fünfjähriger Übergangsfrist. Den weichen Ausstieg hatte in einer intensiven Diskussion in erster Linie FDP-Sprecher Jörg Hoffmann durchgesetzt, durchaus auch im Sinne von CSU und SPD-Kollegen. Der Rohentwurf hatte zunächst schlicht die "Auflösung aller öffentlichen Parkflächen für den Pkw-Verkehr" gefordert, was die Grünen-Vertreter Andrea Bachmaier und Markus Stadler gerne beibehalten hätten. Zugeständnisse zwecks Einstimmigkeit mussten die Grünen auch machen, als es darum ging, wem der heute noch öffentliche Parkraum zugeschlagen werden soll. Die erste Fassung des Papiers forderte reine Anwohnerplätze, außerdem unter anderem Carsharing-Stationen, Behindertenstellplätze, Flächen für Krankenfahr- und Lieferdienste sowie für Lastenfahrräder oder Rikschas. Elektro-Ladestationen blieben aber bewusst ausgeklammert. "Auto ist Auto", zumindest beim Platzverbrauch, beharrte Stadler, der sich E-Stationen bestenfalls exklusiv für Anwohner vorstellen kann. Stattdessen fordert der BA auf Hoffmanns Initiative nun auch ein Kontingent für allgemein zugängliche Ladesäulen.

Nicht durchsetzen konnte Hoffmann seinen Vorschlag, das bewegte Miteinander von Radlern, Fußgängern und Autos vorzugsweise per "Shared Space" zu regeln, also eigentlich gar nicht. Der Wegfall fast aller Regeln zwingt alle Verkehrsteilnehmer zu besonderer Rücksichtnahme. Ein auf den ersten Blick halsbrecherisches Konzept, das, etwa in den Niederlanden, erstaunlich gut funktioniert. In München hat es einen Fürsprecher in Paul Bickelbacher, Verkehrssprecher der Rathaus-Grünen. Die BA-Grünen lehnen es allerdings ab, da sie Autofahrer in der Altstadt eben nicht auf Augenhöhe mit Fußgängern und Radlern sehen möchten, sondern am liebsten gar nicht mehr. Der BA betont ausdrücklich, den Verkehr nicht in andere Stadtbezirke verlagern zu wollen und macht mit seinen Überlegungen weder an Viertel- noch an den Stadtgrenzen halt.

OB Reiter soll sich demnach im Deutschen Städtetag für höhere Bußgelder bei Parkverstößen einsetzen; aktuell komme das Knöllchen kaum teurer als ein Parkhausticket. Die simple Kostenrechnung kann aus Sicht einer fünfköpfigen Familie aus dem Umland immer noch fürs Auto und gegen S- und U-Bahn sprechen, weshalb sich der BA dazu durchrang, die Zukunftsvision eines kostenfreien ÖPNV in seinen Forderungskatalog aufzunehmen.

Dass selbst Markus Söder die Probleme derzeit weniger in der Finanzierung sieht, als im drohenden Zusammenbruch der MVV- und MVG-Netze, ist den Viertelpolitikern nicht entgangen. Sie denken hier aber eher im Zeitrahmen von 20 bis 30 Jahren. Auf lange Sicht wäre es "nicht gut, zurückzubleiben, wenn uns der Ministerpräsident schon finanziell überholt hat", stellte Jürgen-Peter Pinck (SPD) amüsiert fest.

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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