Altstadt:Bei Anruf Trost

Lesezeit: 3 min

Gesprächsbereit: Die Mitarbeiter der Hotline sind jederzeit erreichbar. (Foto: privat)

Die Sucht-Hotline steht Hilfesuchenden und ihren Familien seit 38 Jahren rund um die Uhr zur Verfügung. Ehrenamtliche Mitarbeiter führen die Beratungsgespräche, anonym und kostenlos

Von Katharina Kaak, Altstadt

Tal 19, unweit des Isartores: Maria (Name geändert) sitzt in einem der Büroräume der Sucht-Hotline und wartet auf den nächsten Anruf. An den Wänden hängen bunte Zettel, Terminpläne, Diensteinteilungen, Adressen. Seit einem Jahr arbeitet die 53-Jährige als ehrenamtliche Beraterin bei der Hotline, rund um die Uhr können sich Anrufer hier zum Thema Abhängigkeit beraten lassen. Angefangen hatte für Maria alles mit einem Infoblatt der Hotline, der eines Tage in ihrem Briefkasten lag. In der Borschüre wurden Freiwillige für die Suchtberatung am Telefon gesucht. Schnell war ihr klar: "Das ist doch etwas, das ich tun kann." Danach verschwand der Flyer aber erst mal für zwei Jahre in einer Schublade, bevor ihn Maria wieder hervorkramte und sich um das Ehrenamt bewarb: "Ich hatte das Bedürfnis, etwas Sinnvolles zu tun."

Alle, die bei der Sucht-Hotline arbeiten, tun es unentgeltlich. Denn ohne die Ehrenamtlichen wäre das Angebot nicht möglich: "Man muss Zeit opfern und eine große Portion Motivation mitbringen, das ist großartig", sagt Ilona Tscherny. Die Diplom-Sozialpädagogin ist seit mehr als zwei Jahren im Beratungs- und Therapiezentrum Tal 19 hauptamtlich tätig und berät Klienten im persönlichen Gespräch.

Bevor es für die Freiwilligen ans Telefon geht, steht eine umfassende Ausbildung auf dem Programm. Über mehrere Monate erfahren die künftigen Berater alles über die Krankheit Sucht. In Rollenspielen lernen die Teilnehmer den professionellen Umgang mit den Hilfesuchenden. Wichtig ist es, auf jede denkbare Situation vorbereitet zu sein. Dafür kommen verschiedene Gesprächstechniken und Methoden aus der sozialen Arbeit zum Einsatz. "Es ist sehr anspruchsvoll", sagt Maria. In der Anfangsphase telefoniert man dann zu zweit, immer abwechselnd. "Das gegenseitige Feedback hilft", so die Beraterin. Sie deutet auf einen dicken Ordner im Regal hinter ihrem Schreibtisch: "Das ist ein Leitfaden für die Beratung, da steht nochmal alles drin, was man wissen sollte."

Seit mittlerweile 38 Jahren bietet die Sucht-Hotline ihre Dienste an, für Suchtkranke ist die Telefonberatung oft erste Anlaufstelle. "Es ist anonym, unverbindlich und kostenlos", erklärt die 53-Jährige - was vielen Patienten Mut macht. Wer nicht anrufen möchte, kann auch eine E-Mail schreiben. Und das Angebot der Hotline kommt gut an, etwa 6000 Anrufe und Mails erreichen die Beratungsstelle im Jahr. Bei den meisten der Fälle geht es um Alkohol, gefolgt von illegalen Drogen; aber auch Medikamente, Rauchen oder Spielsucht sind immer wieder Themen. In einigen Fällen, zum Beispiel bei Essstörungen, werden die Anrufer an noch kompetentere Ansprechpartner vermittelt. Ein zunehmendes Problem ist die Internet- und Mediensucht. Ilona Tscherny weiß: "Die Fälle sind in den letzten Jahren mehr geworden." Deshalb bietet das Therapiezentrum regelmäßig eine Mediensprechstunde an.

18 Stunden im Monat arbeitet Maria bei der Sucht-Hotline. Ziel der Telefonate sei im Wesentlichen eine Hilfe zur Selbsthilfe: "Man darf nicht zu viele Ratschläge geben. Der Anrufer soll im Gespräch selbst auf die Ideen kommen, die ihn weiterbringen." Aber nicht nur Betroffene selbst, auch viele Angehörige suchen Hilfe. Deshalb gibt es in der Ausbildung für die Freiwilligen auch eine spezielle Angehörigenschulung. "Bei Sucht ist es so: Es wird nur derjenige aufhören, bei dem es von ihm selbst kommt", erklärt die ehrenamtliche Beraterin, "bis dahin kann das für Freunde und Familie manchmal wahnsinnig bitter sein".

In der Telefonberatung wird Maria mit viel Leid konfrontiert - und es fällt ihr manchmal schwer, sich abzugrenzen: "Es gibt Fälle, die einem sehr nahe gehen, oft wird es emotional." Wie etwa der Fall eines jungen Mannes, der angerufen hatte, weil seine stark betrunkene Freundin sich neben ihm umbringen wollte. "Das war ein Blick in eine Welt, die sehr düster war. Das Unglück war so spürbar", erinnert sich Maria. Im Laufe des Gespräches gelang es ihr dann aber, die Situation zu beruhigen und Schlimmeres zu verhindern. Regelmäßige Supervisionen unterstützen die Freiwilligen dabei, mit dem Gehörten umgehen zu können. In den Gruppenstunden, geleitet von Psychotherapeuten oder Sozialpädagogen, tauschen sich die Berater aus. Außerdem hilft Erfahrung: "Mit der Zeit wird man gefasster."

Die Tätigkeit bei der Sucht-Hotline hat Maria beeinflusst: "Man geht anders durch die Stadt, nimmt mehr wahr und ist sensibler." So zum Beispiel, als sie vor einiger Zeit in der U-Bahn saß und einer Gruppe Jugendlicher zuhörte, die sich übers vergangene Wochenende unterhielten. Einer von ihnen prahlte, wieder "voll abgestürzt" zu sein. "Da ist mir wieder einmal klar geworden, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Alkohol stark verankert ist", resümiert Maria.

Auch wenn es nicht immer einfach sei, empfinde sie die ehrenamtliche Arbeit als Bereicherung: "Es sind oft Menschen mit sehr interessanten Biografien, die hier anrufen." Außerdem sei es ein gutes Gefühl, anderen Menschen helfen zu können. Das Arbeitsumfeld bei der Suchthotline sei sehr familiär. "Es ist ein unheimlich nettes Team", sagt die Ehrenamtliche und lächelt.

Baulärm dringt von draußen herein. Maria steht auf, um das Fenster zu schließen und setzt sich wieder ans Telefon. Der nächste Anruf lässt nicht lange auf sich warten.

Die Sucht-Hotline ist unter der Telefonnummer 28 28 22 oder auch unter der E-Mail-Adresse kontakt@suchthotline.info zu jeder Tages- und Nachtzeit erreichbar. Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte, kann sich im Internet unter www.suchthotline.info informieren.

© SZ vom 27.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: