Alleinerziehende:Dunkle Stunden

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Lisa Becker zieht ihre Kinder Till und Maria alleine groß - für Geschenke fehlt das Geld. Moaid, Ahas und Mahmaud wären froh, wenn sie eine Mutter hätten: Sie ist bei einem Raketenangriff gestorben

Von Inga Rahmsdorf

Mama", sagt Moaid und deutet auf das Foto, das sein Vater auf dem Handy zeigt. Doch der Vierjährige kann sich nicht an seine Mutter erinnern. Er war erst wenige Wochen alt, als eine Rakete das Haus der Familie in Syrien traf. Seine Mutter hielt ihn damals im Arm. Moaid, seine beiden älteren Brüder und ihr Vater Malek Alasri überlebten den Angriff, ihre Mutter jedoch nicht. Wenig später floh der Vater mit den Jungen in die Türkei. Seit einigen Monaten leben sie nun in München, in einer Unterkunft für Wohnungslose.

Etwas schüchtern, aber auch stolz, erzählt Moaid auf Deutsch, wie er heißt und wie alt er ist. Er besucht seit September einen Kindergarten in München, seine sechs- und sein achtjähriger Bruder gehen in die erste Klasse. Was sie dort am liebsten mögen? "Mathematik, lesen und spielen", sagen Ahas und Mahmaud leise. Nicht nur die Sprache und die Umgebung sind neu für sie. Es ist auch das erste Mal, dass sie eine Schule oder einen Kindergarten besuchen. Die Jungen sind im Krieg und auf der Flucht aufgewachsen.

Drei Jahre lang hat die Familie in Flüchtlingslagern in der Türkei gelebt. In Zelten. Einen strukturierten Alltag haben sie nie kennengelernt. Stattdessen Unsicherheit und Chaos. "Es gab keine Schule, nicht genug zu essen und nichts zum Spielen", erzählt ihr Vater. "Es gab dort keine Zukunft für meine Kinder."

Daher beschloss Alasri, nach Deutschland zu fliehen. Seine Schwester lebt schon seit vielen Jahren mit ihrer Familie in München. Doch auf legalem Weg gab es für die Syrer keine Möglichkeit. Der Familienvater machte sich alleine auf die gefährliche Fluchtroute. Die Kinder blieben bei den Großeltern im türkischen Flüchtlingslager zurück. Alasri überlebte die Fahrt in einem Boot über das Mittelmeer. Und er schaffte es bis nach München. Dort stellte er einen Asylantrag, dann einen Antrag auf Familiennachzug. Eineinhalb Jahre dauerte es, bis er seine Kinder wieder in die Armen nehmen konnte. Es war eine schwierige Zeit, so lange getrennt von seinen Kindern zu sein.

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(Foto: ku)

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"Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir in Sicherheit sind", sagt Alasri immer wieder. Doch der alleinerziehende Vater macht sich auch Sorgen um seine Kinder. Der 36-Jährige möchte, dass sie Deutsch lernen, sich wohl fühlen, eine gute Schulbildung erhalten, später eine Ausbildung machen. Doch es fällt den Kindern nicht leicht, sich in der neuen Umgebung und in der Schule zurecht zu finden. Sie vermissen ihre Mutter und ihre Großeltern, die noch im türkischen Flüchtlingslager leben. Albträume quälen sie nachts. "Die Kinder haben so viel Schreckliches erlebt", sagt ihr Vater. Die Familie ist zwar in Sicherheit, doch die Bilder vom Tod der Mutter und vom Krieg tragen sie mit sich.

Malek Alasri hat in Damaskus als Koch gearbeitet. Hier in Deutschland wieder in seinem Beruf arbeiten zu können, wäre ein Traum für ihn. Aber wie es für ihn weitergeht, ob er hier eine Arbeit findet, weiß er noch nicht. Zunächst besucht er einen Deutschkurs. "Das Wichtigste ist, dass es meinen Kindern gut geht", sagt er. Der Familienvater wünscht sich warme Winterkleidung für die Jungen und dickere Bettdecken, damit sie nachts nicht mehr frieren. Die Jungen wünschen sich Fahrräder, mit denen sie in die Schule fahren könnten - so wie die anderen Kinder, sagen sie. Der alleinerziehende Vater wäre auch dankbar für Unterstützung im Alltag, wenn er zu Behörden, mit den Kindern zum Arzt oder zu Terminen in die Schule gehen muss.

Auch Lisa Becker zieht ihre zwei Kinder alleine groß ( Namen von der Redaktion geändert). Die 30-jährige Münchnerin macht eine Ausbildung zur Erzieherin. Ihr größter Wunsch ist es, den Abschluss zu schaffen, zu arbeiten und nicht mehr auf staatliche Leistungen angewiesen zu sein. Doch die vergangenen zwei Jahre seit Ausbildungsbeginn waren sehr anstrengend. Immer wieder gab es Zeiten, in denen Becker an ihre Grenzen stieß und so erschöpft war, dass sie aufgeben wollte. Sie fehlte oft in der Schule, weil sie mit ihren Kindern in die Klinik musste. Fünf Mal wurde der Sohn Till operiert, zwei Mal die Tochter Karin. Mehrere Wochen verbrachte sie mit ihnen im Krankenhaus, und jedes Mal musste sie das andere Kind mit in die Klinik nehmen, weil sie niemanden für die Betreuung hatte.

"Es gab Tage, an denen ich nach Hause kam und nur geheult habe. Ich war so verzweifelt." Lisa Becker ist alleinerziehende Mutter und macht gerade eine Ausbildung. (Foto: Catherina Hess)

Die vierjährige Karin beugt sich über ein Blatt Papier und schreibt konzentriert ihren Namen darauf. Dann blickt sie hoch: "Ich wünsche mir zu Weihnachten eine Prinzessin, ein Pferd und ein Herz", sagt sie. Ihr dreijähriger Bruder Till kritzelt auf ein Blatt Papier. Er spricht undeutlich und nur wenige Wörter. Zwei Jahre lang wusste niemand, was dem Jungen fehlte. "Als Baby hat er viel geschrien und sich verkrampft", sagt Becker. Er lernte nicht laufen, hatte viele Wutanfälle. "Es gab Tage, an denen ich nach Hause kam und nur geheult habe. Ich war so verzweifelt."

Immer wieder ging Becker zum Arzt, ließ Till untersuchen. Zunächst wurden autistische Züge diagnostiziert. Erst als der Junge zwei Jahre alt war, wurde bei ihm eine Erkrankung im Ohr festgestellt, die seine Hörfähigkeit und seinen Gleichgewichtssinn beeinträchtigte. "Er war immer so isoliert, konnte nicht mit uns und den anderen Kindern kommunizieren, weil er nichts gehört hat", sagt seine Mutter. Seit den Operationen sei es besser geworden, aber Till ist immer noch entwicklungsverzögert. 30 Prozent seiner Hörfähigkeit sind verloren gegangen.

Becker selbst war als Jugendliche so schwer erkrankt, dass Ärzte ihr gesagt hatten, sie könne keine Kinder mehr bekommen. Dabei hat sie sich immer eine große Familie gewünscht. Als sie doch schwanger wurde, war sie glücklich, erlitt aber eine Fehlgeburt. Sie wurde erneut schwanger, ihr Ex-Mann erkrankte in dieser Zeit an einer schweren Depression und hatte einen Zusammenbruch. Sie verlor das Baby wieder. Ihr Ex-Mann ist bis heute so krank, dass er sie weder finanziell noch bei der Betreuung der Kinder unterstützen kann. Aber sie erhalte viel Hilfe von Nachbarn, sagt Becker. Und auch die Kita, die Karin und Till besuchen, unterstütze sie sehr.

Es ist ein eng getakteter Alltag. Morgens bringt Becker die Kinder mit dem Fahrrad in die Kita, anschließend fährt sie mit der S-Bahn in die Fachakademie. Spätnachmittags eilt sie von ihrer Schule zur Kita und begleitet die Kindern noch zum Sport. Becker macht sich immer wieder Vorwürfe, dass sie nicht genügend Zeit für ihre Kinder hat. "Ich habe das Gefühl, dass ich ihnen nicht so gerecht werden kann, wie ich gerne möchte, weil ich abends müde oder gestresst bin." Wenn Karin und Till im Bett sind, räumt Becker die Wohnung auf und lernt für ihre Prüfungen. An der Wand im Kinderzimmer hängt ein Weihnachtsbaum aus Filz. "Weil wir keinen Platz für einen richtigen Baum haben, hängen wir den Schmuck einfach daran", sagt Becker. Zwei kleine Zimmer hat die Wohnung. Mehr brauche sie auch gar nicht, sagt sie. Nur für ihre Tochter und ihren Sohn wünscht sie sich neue Matratzen. Sie hat die Möbel gebraucht gekauft, die Matratzen sind sehr alt. Und sie würde ihren Kindern gerne etwas zu Weihnachten schenken.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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