Benefiz:Alte Liebe

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Simon Rattle dirigiert Gustav Mahlers Neunte. Der Erlös geht an das SZ-Adventskalender-Projekt "Musik für alle Kinder".

Von Paul Schäufele, München

Nicht jeder Konzertsaal hat Gustav Mahler und seinen Symphonien sofort die Türen geöffnet. Seine Weltanschauungsmusik steht provokant quer zur Tradition. In München nahm man das nicht anders wahr, auch wenn zwei Mahler-Symphonien hier ihre Uraufführungen hatten: die Vierte (ein Desaster), die Achte (ein Triumph). Während der NS-Zeit wurde der jüdische Komponist dann vollends von den Spielplänen gestrichen, die Ächtung wirkte bis weit in die Nachkriegsjahre.

Auch das 1949 gegründete Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hielt Mahler zunächst auf Distanz. Der gewiss nicht leicht zu erschreckende erste Chefdirigent Eugen Jochum ließ fast ganz die Finger von ihm und vertraute lieber Bruckner (homogener, katholischer). Nur sein heute wenig bekannter Assistent Jan Koetsier, Schüler des Mahler-Exegeten Willem Mengelberg, hat sich an den Stücken versucht. In den Fünfzigerjahren war das edel, ein Wagnis, doch ohne Wirkung. Mit Rafael Kubelík sollte sich das ändern. Seine 1967 begonnene Gesamtaufnahme der Symphonien - die erste eines deutschen Orchesters - ist Teil des Mahler-Booms, den der 1911 gestorbene Komponist beunruhigend genau vorhergesehen hatte: "O, könnt ich meine Symphonien 50 Jahre nach meinem Tode uraufführen!" In Kubelík hatte er einen starken Fürsprecher, der einen vitalen, schlanken Mahler hören ließ, weniger den Weltschmerz-Patienten als einen böhmischen Landsmann und Kollegen.

Genau diese Mahler-Tradition ließ den BR-Hauptabteilungsleiter Jürgen Meyer-Josten den ingeniösen Kirill Kondraschin als Nachfolger Kubelíks nach München rufen. Allein, Kondraschin starb vor Amtsantritt und Colin Davis hat Mahler dann zwar nicht vermieden, aber auch nicht zum Schwerpunkt gemacht. Anders sah es bei Lorin Maazel aus, der den inzwischen Kanonisierten an den Schluss seiner BR-Jahre setzte. Unmittelbar vor Ende seiner Amtszeit 2002 präsentierte Maazel einen Mahler-Block, respektabel in seiner Präzision und Vehemenz.

Mit Mariss Jansons hielt eine neue Art des Musizierens Einzug und eine neue Perspektive auf Mahler. Eine Perspektive, die das Prozesshafte des Werks ausstellt, ein von den Möglichkeiten des Orchesters ausgehendes Werden, so energisch wie transparent. Und doch: Es gibt eine erkennbare Mahler-Tradition der BRSO-Chefs, die sie etwa von den zuverlässigen Ekstase-Produzenten Bernstein und Solti unterscheidet. Mahler ist hier realistischer, lebensnäher, natürlicher. Was passiert, wenn auf die gewachsene Tradition eine anderswo erprobte Mahler-Sicht trifft? Das lässt sich am Fall Simon Rattles erfahren. Mit Mahlers Sechster debütierte der junge Mann aus Liverpool 1987 in Berlin, mit der Sechsten verabschiedete er sich, weißhaarig, als die Philharmoniker sein Orchester waren. Längst hat er alle Mahler-Symphonien mit diversen Orchestern aufgenommen - reichhaltige Diesseits-Visionen. Zur Neunten kehrt er nun zurück am Freitag, 26. November, und greift damit neben der Mahler-Liebe seines neuen Orchesters noch eine weitere Tradition auf. Der Erlös des Konzerts in der Isarphilharmonie kommt dem von Jansons mitbegründeten SZ-Adventskalender-Projekt "Musik für alle Kinder" zugute.

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