Neue Heimat:Spontan wie ein Fahrplan

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Immer ein Auge am Terminkalender: Den Münchnern könnte ein bisschen mehr Gelassenheit nicht schaden. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Der Terminkalender ist wie ein Allmächtiger, der seinen stündlichen Tribut fordert, findet unsere Kolumnistin aus Uganda. Von dort ist sie mehr Flexibilität im Alltag gewohnt.

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Wann haben Sie das letzte Mal etwas getan, das so überhaupt nicht geplant war? Etwas, dass nicht in Ihren Tages- oder Wochenplan passt? Mir kommt es manchmal so vor, als ob die Münchner das Ziffernblatt ihrer Uhren gar nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Viele meiner Freunde und Bekannten hier haben ihren Alltag so getaktet, dass selbst das Treffen mit Kumpels zum Kaffee ein frühzeitiges Planen und Verabreden erfordert. Sie sind teilweise über Tage und Wochen hinweg programmiert - und laufen fast nur noch auf Autopilot. Der Terminkalender ist wie ein Allmächtiger, der seinen stündlichen Tribut fordert.

Kein Wunder, dass "Terminplanung" eine der umfangreichsten Lektionen meines Integrationsdeutschkurses war. Seit ich hier bin, vermisse ich manchmal die Flexibilität, die man in Uganda findet. Dort ist es ganz normal, dass man in eine Behörde spaziert, einem Mitarbeiter spontan einen Besuch im Büro abstattet und sein Anliegen vorträgt. In München tut man sich bei solch einem Unterfangen in aller Regel keinen Gefallen - weil einem keiner den Gefallen tut, spontan eine Lösung zu finden.

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Beispiel: Wer in München einen Facharzt aufsucht, sollte unbedingt langfristig planen. Am besten sollte man schon drei Wochen vorher einen Termin vereinbaren, um sicher zu gehen. Als jemand, der mehr als 30 Jahre in Afrika gewohnt hat, ist das eine ganz eigene Welt. In Uganda würde man ohne Voranmeldung in die Praxis kommen. Wobei auch dieses Vorgehen seine Tücken hat: Meist bekommt man es dann mit einer Warteschlange zu tun. Dann hat man die Wahl: Entweder hinten anstellen - oder sich ärgern und weiter zum nächsten Arzt ziehen - in der Hoffnung, dass dort weniger Betrieb ist.

Ich muss gestehen, dass sich solch ein ugandischer Arztbesuch ganz schön hinziehen kann. Wer Pech hat, kommt gar nicht erst dran und muss am nächsten Tag noch mal losziehen. Insofern hat es durchaus auch Vorteile, diese Sturheit der Münchner, wenn es um ihre Termine geht.

Leider scheint diese Art von Lebensstil aber auch Freiheiten zu nehmen. Bei manchen Mitbürgern habe ich das Gefühl, dass die Gier nach dem korrekt eingehaltenen Stundenplan ihnen nicht gut bekommt. Das sieht man vielen Münchnern an, wenn ihre Pläne spontan durchkreuzt werden. Man muss sich nur mal einige Minuten an einem x-beliebigen Bahnsteig an der Münchner Stammstrecke aufhalten.

So verlässlich S-Bahnen sich verspäten oder ausfallen - genauso verlässlich sind die Münchner, sich darüber aufzuregen. Auf einmal wird geflucht, Menschen schauen im Sekundentakt auf ihre Handys und werden von Minute zu Minute nervöser - und garstiger. So manchem Anzugträger möchte man angesichts seiner Zornesröte umgehend eine ugandische Chill-Pill kredenzen - oder einen bayerischen Baldrian.

Der Umgang mit Zeit hier ist sicherlich strenger als in Afrika, das wird wahrscheinlich auch so bleiben, was nicht unbedingt eine schlechte Sache ist. Vielleicht aber würde es helfen, wenn die Münchner manchmal ein bisschen entspannter sein könnten. Weil es so gut wie nie als Beleidigung gemeint ist, wenn einen jemand warten lässt. Vielleicht sollte man es eher als geschenkte Zeit sehen, in der man das Warten nutzen kann, um den Menschen dieser Stadt beim Leben zuzuschauen.

© SZ vom 04.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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