München:"Man muss miteinander sprechen"

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Zurecht stolz: Eva Haller freut sich über das neue Janusz-Korczak-Haus. (Foto: Florian Peljak)

Das Janusz-Korczak-Haus an der Sonnenstraße versteht sich als ein Treffpunkt für die Weltreligionen der Stadt

Von Elisa Holz, München

Kein Büro, ein Haus bitte: Eva Haller führt durch die großen und kleinen Zimmer der Wohnung. Ein langer Tisch, ein breites Sofa, eine kleine Bibliothek und eine noch kleinere Küche, in der mitunter auch groß aufgekocht wird. Unspektakulär eigentlich - und doch sind diese Räume mit Blick auf die Sechzigerjahre-Fassaden der Sonnenstraße ein besonderer Ort, und Eva Haller, Gründerin, Präsidentin und stolze Hausherrin des Janusz-Korczak-Hauses.

Janusz Korczak war ein jüdischer Arzt, Schriftsteller und sehr fortschrittlicher Pädagoge aus Warschau, der zusammen mit den Kindern seines Waisenhauses im Konzentrationslager Treblinka 1942 ermordet wurde. Alle begegnen sich gleichberechtigt und auf Augenhöhe, das war ein zentraler Punkt in Korczaks Denken und Wirken. Eva Haller sieht die nach ihm benannte europäische Janusz-Korczak-Akademie in seiner Tradition: "Dieses Haus soll auch ein Zuhause sein". Ein Ort, an dem man sich austauscht, sich neu findet, etwas über sich und andere lernt. "Rent a Jew" heißt eines der Projekte des Hauses, das jüdische Referenten für Schulen und Hochschulen vermittelt. Mehr als 200 000 Juden leben in Deutschland, dennoch kennen viele Deutschen keinen Juden. Es ist nicht einfach, der Holocaust hat jeder Begegnung die Unschuld genommen.

Im Flur hängt noch der zweite Teil der Jahresausstellung über das letzte jüdische Ghetto in Shanghai, in dem in den späten Dreißigerjahren 20 000 jüdische Flüchtlinge Zuflucht fanden. Die Vertreibung, die systematische Vernichtung im Dritten Reich und das Leben in der Diaspora prägen die Identität vieler Juden - oft genug in einer Konsequenz, die eine eigene jüdische Identität nicht mehr zulässt. "Aber man muss wissen, wohin man gehört", davon ist Eva Haller überzeugt. Die Akademie sollte ihr Beitrag sein, um das jüdische Gemeinschaftsgefühl in Deutschland zu stärken, Berührungsängste abzubauen.

Eva Haller weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, nirgendwohin zu gehören. Geboren ist sie 1948 im rumänischen Timișoara. Ihre Mutter war Ungarin und hat Auschwitz überlebt, ihr Vater war russischer Jude, der vor Pogromen in seiner alten Heimat nach Rumänien geflohen war. Als Eva vier Jahre als war, zog die Familie nach Wien; es folgten Jahre in Amerika, Kanada, Belgien und Italien. Ein jüdisches Schicksal. "Ich hatte keine Identität im physischen Sinne, meine Identität war das Judentum." Aber Eva Haller wollte Wurzeln. Im Jahr 2006 verließ sie aus privaten Gründen Italien und fuhr nach München. "Ich bin mit dem Koffer da", mehr musste sie einer Freundin nicht erklären, da wusste die schon, dass mal wieder ein Umzug anstand.

Und so baute sich Eva Haller, damals knapp 60 Jahre alt, ein neues Leben an der Isar auf. Zusammen mit ihrem Kollegen Stanislav Skibinski gründete sie vor sieben Jahren die "Europäische Janusz-Korczak-Akademie" als gemeinnützige jüdische Bildungseinrichtung, das erste Büro war ein Café an der Leopoldstraße. Mittlerweile gehören zu der Akademie neben dem Haus in München auch eines in Berlin und Duisburg. "Man entwickelt sich", sagt Eva Haller. Der trockene Kommentar zu der auch von ihr geschriebenen Erfolgsgeschichte steht in schönem Kontrast zu ihrer unbändigen Begeisterung, sobald es darum geht, was die drei Häuser der Akademie so alles anbieten und anstoßen: Workshops, Seminare, Konzerte, Modenschauen und Lernreihen zu verschiedensten historischen, philosophischen und psychologischen Themen. Zur Akademie gehören außerdem ein Familienzentrum, ein Forum für interkulturelle Begegnungen, ein kleiner Verlag. Auf Medienarbeit und -projekte legen die 16 Mitarbeiter der Akademie besonderen Wert. "Es ist wichtig, eine jüdische Stimme zu haben", sagt Haller. Sie ist überzeugt, dass das Judentum besonders in schwierigen Zeiten wie diesen eine einende Rolle spielen kann: "Wir könnten der Mörtel sein, der die Steine zusammenhält."

Konsequenterweise ist das Janusz-Korczak-Haus ein Treffpunkt für die Weltreligionen dieser Stadt: Christen, Muslime, Jesiden, Alewiten und natürlich Juden. Für ein interkulturelles Kochprojekt mit geflüchteten Jugendlichen hat das Haus alle diese Religionen an einen Tisch gebracht. "Man muss miteinander sprechen, es gibt keine Alternative", sagt Eva Haller. Ein hehrer Anspruch in Zeiten, in denen ein sachlicher Diskurs oft nicht einmal mehr im kleinsten Kreise möglich scheint. Für Eva Haller ist die identitätsstiftende Arbeit der Akademie von grundlegender Wichtigkeit: Wer nämlich nicht wisse, wohin er gehört, der könne auch keine Aussöhnung suchen und anderen Menschen auf Augenhöhe begegnen. Die Niederungen der Politik würde Eva Haller in ihrer Arbeit gerne hinter sich lassen. Zielführender scheint ihr das Licht einer Vision: Tikum Olam. Das ist eine Lehre aus den frühen Tagen des rabbinischen Judentums, die nichts weniger als die Reparatur der Welt bedeutet.

© SZ vom 07.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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