München:Das Gefühl stirbt nie

Lesezeit: 3 min

Nach 44 Jahren verlässt das legendäre "Schwabinger Podium" sein Viertel und will sich in der Allacher "Schießstätte" neu erfinden

Von Stefan Mühleisen

Der Schwabing-Mythos lebt, allerdings nur in Geschichten und Legenden - und Denkmälern. Am Wedekindplatz leuchtet abends immer die krumme Laterne, legendäres Requisit der sagenhaften "Schwabinger Gisela"; vorm Café Schwabing lümmelt die Monaco-Franze-Statue. Reminiszenzen an ein ehemals subversives und schummriges Viertel. Das Altschwabing-Gefühl lässt sich heute noch an ganz wenigen Orten wie im Nachhall erleben: im Gasthof "Seerose" oder im Wirtshaus "Weinbauer" vielleicht, ganz sicher aber im "Schwabinger Podium".

Es ist wohl das letzte Refugium eines speziellen Ausdrucks des Altschwabinger Nachtlebens. Allerdings: Am 28. Februar gehen in dieser Musik-Kneipen-Institution an der Ecke Wagner- und Siegesstraße die Lichter aus, nach 44 Jahren. Die gute Nachricht: Der Podium-Spirit soll nicht verlöschen, er soll weiterleben - und zwar am Stadtrand, im Gasthof "Schießstätte" in Allach. "Wir gehen schweren Herzens weg", sagt der 69-jährige Podiumswirt Frederic Vogel, und seine Frau Renate, 64, ergänzt sogleich: "Wir freuen uns aber auch auf unser neues Zuhause."

Die beiden sitzen an einem Tisch in ihrem Lokal. Es hat über die Jahre eine Patina angesetzt wie eine gepflegte Lederjacke, die Altrocker unverdrossen seit ihrer Rabaukenzeit tragen. Die Tische, die Bar, die Bühne - überall Narben von ungezählten Konzert-Abenden, an denen gelacht, gesungen, getanzt wurde. An den Wänden hängen Fotos von Musikern, die ins Mikro kreischen oder Gitarrensaiten dreschen. Dazu Plakate der Bands, die teils seit Jahrzehnten spielen, es sind versierte Cover-Gruppen: Trouble Boys, Thunderbirds, Beatstones, Midlife Crisis, Isar Rider. Zu Beginn 1972 war das Podium zunächst ein Jazz-Club, bis Frederic Vogel als Pächter in den Achtzigerjahren das Lokal auf die Rockschiene setzte - Dixie-Jazz-Gruppen wie die Jazz Kids treten allerdings bis heute noch auf.

1997 stand die Musik-Kneipe wegen Lärmbeschwerden schon einmal vor dem Aus, mit neuer Dämmung ging es dann doch weiter. Und jetzt? "Wir werden alles mitnehmen, die ganze Einrichtung", sagt Michael Vogel, Sohn der Podium-Altwirte und Chef der "Schießstätte" in Allach, "und wir werden versuchen, das Podiums-Gefühl mitzunehmen."

Er bemüht sich, Zuversicht auszustrahlen, doch er kann gewisse Wehmut nicht verbergen. Das Haus in Altschwabing hat seit 2014 mit Friedrich Eichiner, Finanzvorstand von BMW, einen neuen Eigentümer. Er will das Gebäude abreißen und einen Neubau hinstellen - ob die Stadt das genehmigt, ist offen; das Haus gilt zwar nicht als Einzeldenkmal, doch wurde der Ensembleschutz ausgeweitet. Nun wird geprüft, "ob das bestehende Gebäude innerhalb des Ensembles vollständig abgebrochen werden kann", teilt das Planungsreferat mit. Beschlossene Sache ist hingegen seit Mai 2014, dass die Vogels raus müssen: Da haben sie die Kündigung ihres Gewerbe-Mietvertrages erhalten, die der Eigentümer wegen des schwebenden Genehmigungsverfahrens ausgesetzt hat.

Die Wirtsleute fingen sofort an, ganz München und das Umland nach einem neuen Domizil abzugrasen. Von mindestens 20 Objekten spricht Michael Vogel, vom Westend über Moosach bis nach Gilching und Olching klapperten sie mögliche Ausweichquartiere ab: "Entweder es war keine Live-Musik möglich oder arg weit draußen". Doch dann kam über ihren Brauereivertreter von Hacker-Pschorr der Kontakt zur Feuerschützengesellschaft "Der Bund" in Allach zustande, seit gut 110 Jahren Eigentümer ihres Domizils "Schießstätte".

Das Gasthaus an der Würm wirkt indes wie die Antithese zum bestehenden "Schwabinger Podium": alles andere als eine schummrige Adresse, mit großem Hirschgeweih über der Eingangstüre, es gibt einen Saal für gut 250 Besucher, einen Biergarten für gut 600 Gäste, eine Gaststube mit 80 Plätzen. Trachtenjanker statt Lederjacke?

Michael Vogel wiegt den Kopf am Tisch im Gastraum des alten Podium: "Die Club-Atmosphäre lässt sich freilich nicht übertragen, dafür gibt es im Saal Livemusik". Aber er glaubt daran, dass ein Teil des Podium-Gefühls und einige seine bisherigen Gäste sich verpflanzen lässt. Stamm-Bands wie die Trouble Boys wollen mitkommen, bei den Gästen steht es "halbe halbe". Die einen wollen auch in Allach abrocken, "den anderen ist es zu weit weg".

Unter den treuen Rock-Recken herrscht derweil pragmatischer Optimismus. Das Podium lasse sich nicht nach Allach verschieben, räumt Rainer Blencke, Sänger der Trouble Boys, ein. Die Atmosphäre werde eine andere sein, aber: "Es wird funktionieren, wenn man das engagiert macht." In Allach hat der Hauseigentümer keinen Zweifel daran, dass die Vogels das auch tun werden. "Wir sehen das Doppelkonzept mit Livemusik und Wirtshausbetrieb sehr positiv", sagt Manfred Moser, Erster Schützenmeister.

So wird auch das "Schwabinger Podium" bald zu den untergegangenen Schwabinger Legenden zählen. Und es lassen sich viele Geschichten erzählen, zum Beispiel diese: Etwa 1978 sollte eine Zeitung den Auftritt der Dixi-Jazz-Combo Stachus Quo ankündigen, druckte aber den Namen der berühmten Rockband Status Quo. "Da standen dann 300 Leute vor der Türe und wunderten sich über den freien Eintritt", erzählt Frederic Vogel. Viele seien dennoch geblieben und hätten sich gebogen vor Lachen über Stachus-Quo-Hits wie "Haferschleim im Altersheim".

Ein unvergessener Abend, von denen soll es zum Schluss nochmals einige geben. "Mindestens eine Woche lang", so kündigt Michael Vogel an, werde das "Podium" mit Konzerten Abschied feiern.

© SZ vom 03.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: