München:Allzeithoch

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Im Landkreis München herrschen Vollbeschäftigung und Fachkräftemangel. Doch viele Arbeitsverhältnisse sind befristet

Von Martin Mühlfenzl, München

Im Landkreis der Rekorde werden immer neue Höchstmarken aufgestellt - allerdings nicht nur im positiven Sinne. Zwar hat sich die Stimmung unter Unternehmen in der Region zuletzt etwas abgekühlt - die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse im Landkreis München aber liegt mit mehr als 237 000 weiter auf einem Allzeithoch. Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds Kreisverband München (DGB), Simone Burger, aber kommt nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass der Boom auch negative Seiten hat. Nahezu jede zweite Neueinstellung im Landkreis München sei befristet, kritisiert Burger. Aus einer Untersuchung des DGB anhand von Daten der Bundesagentur für Arbeit in München geht hervor, dass von den Befristungen vor allem unter 25-Jährige sowie Experten und Spezialisten betroffen sind.

Aus Sicht von Gewerkschafterin Burger ist die weiter wachsende Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse vor allem vor dem Hintergrund der "hohen Nachfrage an Fachkräften" im Landkreis nicht zu rechtfertigen. 2018 waren in den Berufsfeldern Information und Kommunikation 70 Prozent aller Neueinstellungen befristet, kritisiert Burger, im Bereich Erziehung und Umwelt sogar 80 Prozent. Bei den unter 25-Jährigen waren es nahezu 60 Prozent, die nur einen befristeten Arbeitsvertrag ergattern konnten. Dies berge enorme Unsicherheiten für die Betroffenen, sagt Burger: "Wer befristet ist, kann auch in anderen Lebensbereichen nicht langfristig planen."

Die Einschätzung, dass der Fachkräftemangel für den Arbeitsmarkt im Landkreis München ein Problem darstellt, teilt Christoph Leicher mit Simone Burger. Der Chef des Regionalausschusses der Industrie- und Handelskammer für den Landkreis München (IHK) sagt, diese Entwicklung gehe "auf lange Sicht zulasten des gesamten Standorts". In der gesamten Region München fehlen der IHK zufolge derzeit etwa 71 000 qualifizierte Fachkräfte; bis ins Jahr 2030 könne diese Zahl auf etwa 110 000 Personen ansteigen, wenn nicht gegengesteuert werde. "Das unmittelbare Problem ist, dass es am Arbeitsmarkt im Landkreis München schlicht zu wenig Erwerbssuchende gibt", sagt Leicher. "Im Juni lag die Arbeitslosenquote bei 2,1 Prozent - aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das besser als Vollbeschäftigung."

Ein wichtiger Baustein, um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sei das vom Bundestag beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das im Jahr 2020 in Kraft tritt, sagt Leicher. "Diese Maßnahme kann auf jeden Fall mittel- bis langfristig helfen, den Arbeitsmarkt zu beleben." Wichtig sei auch, die Beschäftigungsquote von Frauen weiter zu erhöhen, in Bayern arbeitete fast die Hälfte aller Frauen in Teilzeit, kritisiert der IHK-Mann.

Die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse zu reduzieren, gehört für die IHK nicht zu den geeigneten Maßnahmen, um dem Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen. "Befristete Arbeitsverhältnisse bieten für Unternehmen die Möglichkeit, flexibel auf unterschiedlichen Beschäftigungsbedarf zu reagieren", sagt Frauke Kamp, Expertin für Arbeitsrecht bei der IHK. "Außerdem ziehen viele Unternehmen zunächst befristete Arbeitsverhältnisse vor, weil sie bürokratische Hürden und rechtliche Unsicherheiten fürchten, die mit notwendigen Kündigungen unbefristeter Arbeitsverhältnisse verbunden sind." Zudem stehe "naturgemäß" bei Befristungen mit Sachgrund bereits im Vorfeld fest, dass "der Beschäftigungsgrund nur vorübergehend besteht", sagt Kamp. "Darüber hinaus bietet die sachgrundlose Befristung für die Unternehmen ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument zur bedarfsgerechten Personalplanung."

Vor allem den Anstieg eben dieser sachgrundlosen Befristungen kritisiert Simone Burger vom DGB. Dieser sei "gravierend", sagt die Gewerkschafterin. Eine Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) bei bayerischen Unternehmern habe gezeigt, dass 2018 vier Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse im Freistaat mit einer sachgrundlosen Befristung einhergingen - insgesamt betraf dies 256 000 Arbeitsplätze. Sachgrundlose Befristungen würden auch im Landkreis immer häufiger "als verlängerte Probezeit missbraucht", sagt Burger. Dabei sei "die Abschaffung des Missbrauchs jahrelanger und sachgrundloser Befristungen" von Union und SPD im Koalitionsvertrag beschlossen worden. "Nach der parlamentarischen Sommerpause müssen endlich auch Taten folgen", sagt Burger.

Auch IHK-Chef Leicher stellt Forderungen an die Bundesregierung und geißelt gleichzeitig die Rente mit 63 als "völlig falschen Weg". So würden "viele bestens qualifizierte und erfahrene Menschen dem Arbeitsmarkt entzogen", sagt Leicher, vielmehr müssten aber Anreize geschaffen werden, später in Rente zu gehen.

Allgemein trübt sich einer Umfrage der IHK aus dem Mai zufolge die Stimmung unter den Unternehmern in der Region München ein. Nur noch 49 Prozent der Befragten bewerteten die aktuelle Geschäftslage als gut, zu Jahresanfang lag dieser Wert bei 56 Prozent.

© SZ vom 22.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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