Georg Gänswein:Chefdeuter des Emeritierten

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(Foto: dpa)

Die Welt wartet auf eine Reaktion von Benedikt XVI. auf das Missbrauchsgutachten. Sein treuer Privatsekretär assistiert ihm beim Lesen und Antworten.

Von Oliver Meiler

Als Georg Gänswein aus Riedern im Schwarzwald jünger und sein Haar noch etwas voller war, nannte man ihn in Rom den "blonden Schatten". Das war nur eine von vielen Beschreibungen, die sich am Äußeren des Geistlichen im Dienst der Päpste, des "bel Giorgio", des schönen und sportlichen Georg, festmachten. Natürlich passte "George Clooney des Vatikans" auch ganz gut. Die Sprüche wurden bald redundant. Man sollte den Mann auch nicht ständig auf sein Äußeres reduzieren - so sehr dieser ambitionierte und selbstbewusste Gänswein die glamouröse, beinahe hollywoodeske Aura, die ihn umwehte, auch zu genießen schien.

Nun ist Gänswein 65 Jahre alt, und seit Franziskus ihn vor zwei Jahren nach einem Zerwürfnis über ein Buch als Präfekten des Päpstlichen Haushaltes beurlaubt hat, erscheint er nicht mehr in der großen Öffentlichkeit. Nicht zu den Audienzen mit hohen Gästen, nicht zu wichtigen Messen. Die Fotografen zoomen seitdem etwas näher an den Papst heran, der Schatten daneben ist nicht mehr so fotogen. Gänswein war bis dahin Diener zweier Päpste, eine beispiellose Doppelfunktion. Dem emeritierten Benedikt XVI. assistiert er weiterhin als Privatsekretär. Das ist sozusagen seine Lebensaufgabe, die nun in diesen Tagen eine bedeutende Rundung erhalten soll.

Die halbe Welt und die katholische Kirche in Deutschland im Speziellen warten darauf, dass sich Joseph Ratzinger zum Gutachten über den sexuellen Missbrauch im Bistum München und Freising äußert. Da der Papst im Ruhestand 94 Jahre alt und gebrechlich ist, darf man annehmen, dass die beiden diese Antwort gemeinsam formulieren - im besten Fall. Wann immer Gänswein nach dem Wohlergehen seines Chefs gefragt wird, sagt er, der sei hellwach im Geist, aber die körperlichen Kräfte hätten stark nachgelassen. Als neulich das Gerücht die Runde machte, Benedikt habe seine Stimme ganz verloren, relativierte Gänswein: Die Stimme sei dünn und schwach, man müsse schon genau hinhören, um ihn zu verstehen. Die Frage ist, ob es für das Verständnis auch der Deutung des treuen Sekretärs bedarf, und wenn ja: Handelt es sich um ein intuitives oder ein kreatives Deuten?

Draußen Lächeln, drinnen Härte

Die zwei Männer, die mit vier bediensteten Schwestern in einem Kloster in den Vatikanischen Gärten leben, verbindet eine besondere Geschichte. Gänswein kam in den Neunzigerjahren als junger, aufstrebender Priester nach Rom und suchte die Nähe Ratzingers, der damals Leiter der Kongregation für die Glaubenslehre der Kirche war. Dessen streng dogmatischer, konservativer Kurs deckte sich wunderbar mit seinem eigenen. Gänswein galt sogar als noch einen Tick konservativer. Sein Lächeln mag draußen alle verzaubert haben: Drinnen, hinter den Mauern des Vatikans, soll er sich seinen Weg kompromisslos gebahnt haben. 2003 machte ihn Ratzinger zum Privatsekretär und behielt ihn in dieser Rolle, als er Papst wurde. So sah man Pater Georg, der heute Erzbischof ist, ständig an der Seite Benedikts. Er sortierte die Post, jonglierte mit den Terminen, reiste überallhin mit. Er rückte auch mal seine Kutte zurecht, wenn eine Böe sie aufblies und in Falten legte. Als Benedikt abdankte und sich von den Kardinälen verabschiedete, sah man Gänswein weinen.

Nun also schreibt er am Vermächtnis des deutschen Papstes mit, mehr oder weniger aktiv. Und in Rom erinnern sich viele an einen anderen Privatsekretär, der am Lebensabend eines Papstes immer mächtiger wurde: Stanislaw Dziwisz sekundierte dem polnischen Landsmann Johannes Paul II. Der knorrige Dziwisz ließ zum Schluss gar niemanden mehr vor zu den Gemächern des Papstes, er gab dessen Türsteher. Die Akten für den Pontifex? Landeten alle bei ihm. So bestimmen die Herren Sekretäre auch ein bisschen über das Bild, das bleibt. Johannes Paul II. wurde in Rekordzeit heiliggesprochen: Santo subito! Bei Benedikt ist das kein Thema.

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