Türkei:Die Botschaft der Botschafter

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Zehn Vertreter anderer Länder kritisieren wegen des Falls Osman Kavala in Ankara gemeinsam ihren Gastgeber - ein spektakulärer Vorgang.

Von Tomas Avenarius

Zurückhaltung, Diskretion und Höflichkeit gehören zum Handwerkszeug des Diplomaten. Wenn also zehn Botschafter ausländischer Staaten die Justiz ihres Gastgeberlandes gemeinsam kritisieren, dann gibt es dafür nur zwei Erklärungen. Entweder haben die Regierungen dieser Diplomaten sich miteinander gegen die Gastgeber-Regierung verschworen, oder es liegt etwas sehr im Argen in dem Land. Im Fall des seit vier Jahren ohne Gerichtsurteil inhaftierten Osman Kavala trifft die zweite Erklärung zu: Die Türkei disqualifiziert sich als Rechtsstaat durch ihr Vorgehen gegen den Kulturmäzen und Förderer der Zivilgesellschaft.

Was immer einer von den Aktivitäten des Istanbuler Geschäftsmanns hält: Im Umgang mit Kavala verstößt die Türkei auch für jeden Nicht-Juristen erkennbar gegen rechtsstaatliche Normen und Prinzipien. Stattdessen präsentiert sie den 63-Jährigen ihren eigenen Bürgern als abschreckendes Beispiel für alle Andersdenkenden. Wer aufmuckt im Land von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, wird zum Opfer einer politisierten Justiz, landet vor einem voreingenommenen Gericht, hat keine Chance auf Gerechtigkeit.

Ob Kavalas Schicksal nach innen hin die Wirkung zeigt, die sich Präsident Erdoğan wünscht: jeden Widerspruch zu paralysieren? Das bleibt abzuwarten. Die Gezi-Proteste von 2013 haben gezeigt, dass viele Türken bereit sind, für ihre Meinung einzutreten, und dafür sogar ihre körperliche Unversehrtheit und ihre Freiheit riskieren. Das kann sich wiederholen, wenn der Anlass es den Menschen wert ist. Zugleich ist die Türkei auch Teil der internationalen Staatengemeinschaft, es gelten daher für sie nicht nur Erdoğans Maßstäbe. Das Kavala-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist für Ankara als Mitglied des Europarates bindend, der Kulturförderer müsste sofort freikommen. Das wird vorerst kaum geschehen: Die Türkei manövriert sich wegen Osman Kavala international daher noch stärker ins Aus.

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