Irgendwann hat Diébédo Francis Kéré, 56, sich den Film dann doch angeguckt. Bei seinen Vorträgen hatten immer wieder junge Menschen ihn darauf hingewiesen, dass das, was er entwirft, aussehe "als käme es aus Wakanda". Wakanda, das ist das fiktive afrikanische Land in "Black Panther", dem ersten schwarzen Superheldenfilm aus dem Jahr 2018, das mit seiner futuristischen Metropole, seinem Wohlstand und vor allem seinem technischen Wissen der restlichen Welt weit überlegen ist. Kéré gefiel die Fantasiewelt, weil "sie zum Träumen anregt". Und zum Träumen, aber auch zu mehr Risiko, möchte auch er die Menschen mit seinen Bauten bewegen, seinen Schulen und Krankenhäusern, dem von Christoph Schlingensief initiierten Operndorf, dem Goethe-Institut in Dakar oder den neuen Parlamentsgebäuden für Benin und Burkina Faso.
Francis Kéré erhält nun als erster schwarzer Architekt den mit 100 000 Dollar dotierten Pritzker-Preis, die wichtigste Auszeichnung, die es in der Architektur jährlich zu vergeben gibt. Sein eigenes Leben war gerade zu Beginn alles andere als ein Traum. Kéré wurde geboren als ältester Sohn des Häuptlings von Gando, einem Dorf in Burkina Faso. Weil er als Erster im Dorf lesen und schreiben lernen sollte, schickte ihn sein Vater mit sieben Jahren in die Stadt. Damit habe seine Kindheit geendet, erzählte Kéré viele Jahre später, denn für die Gastfamilie musste er hart arbeiten, Baumaterialien mit dem Eselkarren über Kilometer herankarren zum Beispiel. "Dabei ist mir aufgefallen, dass wir nach jeder Regenzeit den Lehmputz der Häuser ausbessern mussten. Deswegen habe ich mir damals überlegt, wie man die Dinge besser machen kann, damit ein Kind diese schwere Arbeit nicht mehr machen muss." Kérés Wunsch, "die Hütten meiner Heimat zu modernisieren", hat ihn zu dem gemacht, der er heute ist: einer der bekanntesten, aber auch innovativsten Architekten der Welt, ein Vorreiter der sozialen Architektur, der mit seinen Entwürfen zeigt, was für großartige Gebäude entstehen, wenn man das am Ort vorhandene Material verwendet und die lokalen Bautraditionen technologisch verfeinert. Wenn man aber auch die Bedürfnisse der Menschen und der Natur ernst nimmt.
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"Meine wichtigste Leistung": eine Schule aus Lehm
Nach der Schule und einer Tischlerausbildung kam Kéré mit einem Stipendium in den Achtzigerjahren nach Deutschland und studierte Architektur an der TU Berlin. Eigentlich wollte er nach dem Grundstudium schon wieder aufhören, schließlich wusste er dann, "wie man mauert und wie man ein Dach so macht, dass es nicht wegfliegt". Doch sein Lehrer, der Stadtforscher und langjährige Leiter der Habitat Unit an der TU Berlin, Peter Herrle, überzeugte ihn, noch sein Diplom zu machen. Wobei er schon während seines Studiums das Projekt begann, das ihn weltberühmt machen sollte: die mit dem Aga Khan Award ausgezeichnete Grundschule in Gando. Sein Architekturbüro führt er von Berlin-Kreuzberg aus.
"Meine wichtigste Leistung in meinem Leben ist, dass ich überhaupt den Mut gehabt habe, zu sagen: Lasst uns eine Schule aus Lehm bauen!", erklärt Kéré heute, obwohl er neben dem Pritzker-Preis nahezu jede wichtige Auszeichnung in der Architektur erhalten hat, sein Werk in den bedeutendsten Museen dieser Welt ausgestellt wurde und er an den renommiertesten Fakultäten seiner Disziplin unterrichtet, seit 2017 an der Technischen Universität München (TUM). Doch mit der Schule hat der Architekt gezeigt, wie der älteste, aber auch ökologischste Baustoff, den es auf der Welt gibt, moderner und widerstandsfähiger werden kann. Kéré mischte dem Lehm ein wenig Zement bei. Gleichzeitig konstruierte er den Bau so raffiniert, dass der keine Klimaanlagen braucht, und erwies sich so als Großmeister der Luftzirkulation. Mit der Grundschule in Gando und den so schlichten wie schönen Gebäuden Kérés, die folgten, hat der Architekt nichts weniger als das Vorbild für eine gerechtere Zukunft geschaffen.