Aachener Kunstpreis:Schweigen ist Gold

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Kamila Shamsie und Walid Raad (Foto: imago; Max Ronnersjö/Wiki Commons (CC BY-SA 3.0))

Die Stadt Aachen und die Jury des Nelly-Sachs-Preises haben ihre Entscheidungen zurückgezogen, weil sich die Ausgezeichneten für den BDS engagieren. Schlaglicht auf eine verfahrene Debatte.

Kommentar von Felix Stephan

Die Stadt Aachen hat soeben ihren Kunstpreis an den libanesisch-amerikanischen Künstler Walid Raad zurückgezogen, weil dieser nicht nur ein international renommierter Künstler ist, sondern außerdem die Organisation "Boycott, Divest and Sanctions" (BDS) unterstützt. Wer die Nachrichten aus dem deutschen Preisgeschehen nur mit einem Auge verfolgt, könnte diese Geschichte leicht mit jener verwechseln, die sich ein paar Tage zuvor in Dortmund zugetragen hat. Dort hatte die Jury der britisch-pakistanischen Schriftstellerin Kamila Shamsie den Nelly-Sachs-Preis aberkannt, nachdem auch sie sich als BDS-Unterstützerin erwiesen hatte. Der Fall schlug im englischsprachigen Raum größere Wellen als in Deutschland. Die London Review of Books veröffentlichte einen offenen Brief, der die Entscheidung der Dortmunder Jury kritisierte und von zahlreichen namhaften Autoren unterschrieben wurde, darunter Alexander Kluge, Rachel Kushner, Michael Ondaatje, Colm Tóibín und dem südafrikanischen Nobelpreisträger J. M. Coetzee.

Seitdem kreist die hitzige Debatte im Kern um die Frage, ob es sich beim BDS um eine legitime Form zivilgesellschaftlichen Engagements oder eine antisemitische Organisation handelt. Diese Debatte wird dadurch erschwert, dass die Motive auf beiden Seiten mitunter nicht durchgehend integer sind. Dabei ist es im Grunde gar nicht so kompliziert. Natürlich kann man die israelische Regierung kritisieren, ohne deshalb gleich ein Antisemit zu sein. Jedes andere Land müsste sich ebenfalls Kritik gefallen lassen, wenn es etwa wie Israel eine Siedlungspolitik betreiben würde, die das Völkerrecht bricht.

Nelly-Sachs-Preis
:Offener Brief an die Jury

Die Autorin Kamila Shamsie bekommt den Nelly-Sachs-Preis nicht, anders als zunächst verkündet. Nun kritisieren mehr als 250 Autoren die Entscheidung.

Von Felix Stephan

Entscheidend ist auch hier die Sprecherposition

Ebenso offenkundig aber ist, dass Kritik an der israelischen Regierung von Antisemiten regelmäßig benutzt wird, um Ressentiments unter die Leute zu bringen. Und dass es dem BDS nicht gelingt, konsequent gegen Antisemiten vorzugehen, die in seinen eigenen Reihen Unterschlupf suchen. Diese strikte Trennung aber wäre die Grundbedingung für glaubwürdigen Aktivismus.

Der BDS sieht sich selbst als zivilgesellschaftliche Bewegung, die Israel so lange sanktionieren möchte, bis sich die Regierung des Landes an völker- und menschenrechtliche Standards hält. Vom Deutschen Bundestag aber wurde der BDS im Mai 2019 als antisemitisch eingestuft, nicht zuletzt, weil es gerade in der Bundesrepublik nun einmal die vordringliche Aufgabe ist, dem Antisemitismus jede denkbare Plattform zu entziehen, statt ausgerechnet der israelischen Regierung Vorträge über Menschenrechte zu halten. Wenn die Deutschen ihr moralisches Gewicht für die Menschenrechte in die Waagschale werfen wollen, böte sich in vielen anderen Ecken des Planeten ausreichend Gelegenheit.

Wenn Autoren und Institutionen anderer Länder ihre Prioritäten anders setzen als der Deutsche Bundestag und in Kauf nehmen, dass auch waschechte Antisemiten im Kielwasser ihres zivilgesellschaftlichen Einsatzes mitschwimmen, steht ihnen das natürlich frei. Wie meistens ist auch hier die Sprecherposition entscheidend. Wenn etwa amerikanische Juden Netanjahus Likud-Partei kritisieren, ist das sehr viel erträglicher, als wenn sich ausgerechnet Deutsche zu Kämpfern für die palästinensische Sache aufschwingen. Wenn es auf der internationalen Bühne ein humanistisches Problem gibt, bei dem die Deutschen anderen Nationen gern einmal den Vortritt lassen dürfen, dann wäre das die moralische Beurteilung israelischer Regierungspolitik. Wenn deutsche Städte aber BDS-Anhänger auszeichnen, beziehen sie in dieser Sache zwangsläufig Stellung. Wenn sie die Preise wieder aberkennen, ebenso. Um beides zu vermeiden, sollten sich deutsche Jurys informieren, in welche Debattenräume sie sich durch ihre Nominierungen unweigerlich begeben.

© SZ vom 02.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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