Belarus:Die Unbeugsame, die stets Herz zeigt

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Maria Kolesnikova während einer Gerichtsverhandlung - am Montagvormittag soll das Urteil gegen die frühere Musikerin fallen. (Foto: dpa)

Maria Kolesnikowa wurde in Belarus zum Symbol der Freiheit, indem sie sich von Diktator Alexander Lukaschenko einsperren ließ. Nun droht ihr ein hartes Gerichtsurteil.

Von Silke Bigalke

Maria Kolesnikowa weiß jetzt, was sie auf eine einsame Insel mitnehmen würde, Musik natürlich. Die Matthäus-Passion von Bach, dazu ihre Querflöte und Notenblätter. Aber Maria Kolesnikowa, Musikerin und belarussische Oppositionelle, kann gerade nicht weg. Seit einem Jahr sitzt sie im Untersuchungsgefängnis, zuletzt wurde sie nach Minsk verlegt. Vergangenen Sommer führte die 39-Jährige den Protest gegen Machthaber Alexander Lukaschenko an, nun drohen ihr bis zu zwölf Jahre Gefängnis. An diesem Montag wird das Urteil erwartet.

Maria Kolesnikowa schreibe oft, wie sehr sie ihre Musik vermisse, sagt ihr Vater Alexander Kolesnikow im Videointerview. Er sitzt in Minsk vor der Kamera, trägt ein T-Shirt mit dem Konterfei seiner Tochter. Die Geschichte von der einsamen Insel hatte sie einer Freundin geschrieben. Die Lebenszeichen aus dem Gefängnis sind so rar, dass Freunde und Familie sie miteinander teilen.

Fast genau ein Jahr ist es her, dass Lukaschenkos Schergen Maria Kolesnikowa von der Straße gezerrt und verschleppt haben, ihr Gewalt androhten, sie mit dem Tod bedrohten. Kolesnikowa hat das über ihre Anwälte öffentlich gemacht. Im September 2020 war sie die letzte führende Oppositionelle, die noch im Land und in Freiheit war. Beinahe gelassen stellte sie sich während der Proteste den Einsatzkräften gegenüber. Mit ihren kurzen blonden Haaren, dem typischen roten Lippenstift und dem Herzchen, das ihre beiden Hände formten, stand sie für ein modernes, freies, friedliches Belarus. Der Diktator mit seiner Kalaschnikow und seinen Verfolgungswahn wirkte mittelalterlich dagegen.

Ihre Verteidiger musste sie mehrfach wechseln, weil auch die unter Druck gerieten

Lukaschenko wollte sie außer Landes schaffen, sein Geheimdienst brachte sie an die Grenze zur Ukraine. Die halbe Welt weiß, was dann geschah: Maria Kolesnikowa zerriss ihren Pass und blieb. Ausgerechnet indem sie sich einsperren ließ, wurde sie zum Symbol für die Freiheit. Der Machtapparat rächte sich mit einer absurden Anklage: Kolesnikowa wird unter anderem vorgeworfen, sie habe sich mit anderen verschworen, um verfassungswidrig die Macht zu ergreifen. Ihre Verteidiger musste sie mehrfach wechseln, weil auch die unter Druck gerieten, eingesperrt wurden, zwei verloren ihre Lizenz.

Würden Notenblätter sie im Gefängnis erreichen? "Unvorhersehbar", sagt der Vater, das hänge von den Wachen ab, und Noten lesen könnten die sicher nicht. "Vielleicht sehen sie darin verschlüsselte Informationen", sagt er und fügt hinzu: "Das ist natürlich ein Witz von mir, aber einen Funken Wahrheit hat es." Seine Tochter durfte er bisher weder besuchen noch mit ihr telefonieren. Er weiß, dass sie im Gefängnis viel liest, wenn ihr nicht gerade die Bücher weggenommen werden. Einmal am Tag darf sie raus in einen kleinen Hof. Ihre Haare sind nun dunkel, den roten Lippenstift trägt sie aber auch hinter Gittern. Ihre Freundinnen haben dem Vater geholfen und Kolesnikowas Lieblingsmarke besorgt.

Sie schreibt dem Vater jeden Tag, im August aber seien nur fünf Briefe angekommen, sagt er. Nie wirke sie darin bedrückt, wiederhole immer wieder: "Alles wird gut." Kürzlich konnte er sie während der Verhandlung sehen, er war zum ersten Mal in den Gerichtssaal gelassen worden. Die Öffentlichkeit ist vom Verfahren ausgeschlossen. Er habe sie nur "Papa" rufen hören und dann das Herz gesehen, das sie ihm zeigte. Da sei er sofort ruhiger geworden.

Zur Politik kam seine Tochter durch den Bankdirektor und Kunstförderer Wiktor Babariko. Der hatte sie überredete, ein Kulturzentrum in Minsk zu leiten, sie pendelte damals zwischen Minsk und ihrer zweiten Heimat Stuttgart. Babariko wollte bei den Präsidentschaftswahlen kandidieren und wurde vor der Abstimmung festgenommen, Kolesnikowa führte seinen Wahlkampf weiter. Im Juli ist Babariko zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er und Kolesnikowa sind zwei von 650 politischen Gefangenen in Belarus.

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