Mailand:Die Gewalt hat einen Hintergrund

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Nach den Übergriffen in der Silvesternacht wollen die einen nur über Araber reden, die anderen nur über Sexismus. Beides ist falsch

Kommentar von Elisa Britzelmeier

Frauen sind angegriffen worden, in der Silvesternacht, auf dem Platz vor dem Dom, aus großen Männergruppen heraus. Belästigt, bedrängt, angefasst. Was nun in Mailand passiert ist, erinnert an Köln im Jahr 2015. Damals gab es 1210 Anzeigen, in Mailand dagegen ermittelt die Polizei aktuell in neun Fällen. Auffällig ähnlich aber ist, wie kurzsichtig über solche Übergriffe gesprochen wird.

Wieder einmal interessieren sich in diesem Fall besonders diejenigen für sexualisierte Gewalt, die sich sonst wenig um das Thema scheren. Ihnen geht es, seien sie nun Nutzer von sozialen Netzwerken oder Politiker der Rechten, vor allem darum, dass die mutmaßlichen Täter mehrheitlich arabischer Herkunft sein sollen. Wieder wird das rassistische Stereotyp des Arabers, der ein Problem mit Frauen hat und daher in Europa ein Problem sei, herumgereicht. Wieder wird gemutmaßt, dass politische Korrektheit die Aufklärung der Taten verhindere.

Ja, man kann kritisieren, dass die Vorfälle spät bekannt wurden und die Politik zögerlich reagierte. Und ja, es fällt auf, dass bei denen, die sonst lautstark Sexismus anprangern, die Solidaritätsbekundungen mit den Frauen ausbleiben. Das hat seinen Grund: Beide Länder, Italien und Deutschland, haben ein strukturelles Problem mit sexualisierter Gewalt durch Männer. EU-weit hat jede dritte Frau als Erwachsene damit Erfahrung gemacht. Nicht die Herkunft, sondern das Geschlecht ist die Konstante, argumentieren Feministinnen.

Trotzdem muss es möglich sein, kritisch über sexistische Dynamiken in Männergruppen zu reden, und auch über den durchaus vorhandenen, aber eben nicht zwingenden Zusammenhang problematischer Frauenbilder und der Frage, wie jemand kulturell geprägt wird. Die einen wollen nur über Herkunft sprechen. Die anderen nur über Gewalt gegen Frauen. Es sollte aber um beides gehen können. Um der Realität gerecht zu werden, vor allem aber auch den Betroffenen.

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