Italien:Spitzenwein oder alles Essig

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Mario Draghi soll Italien aus dramatischer Lage befreien. Dabei bietet sich ihm eine historisch einmalige Chance - wenn er sie denn zu nutzen weiß.

Von Oliver Meiler

Riserve della Repubblica - so nennen die Italiener ihre Besten, die Kategorie immer greifbarer und parteiloser Staatsdiener, Experten und Professoren von Weltruhm. Leute wie Mario Draghi, die man einwechseln kann, wenn in der Politik nichts mehr geht. Ein Bild aus der Weinkunde passt da auch ganz gut: Riserve sind gepriesene Jahrgänge, die man im Keller lagert und nur zu besonderen Gelegenheiten hervorholt: Hier! Das barock-byzantinische Theater der Politiker? Es macht jetzt mal Pause. Die kleinen Spielchen, die Kapriolen für die Galerie? Vorhang.

Das hier ist eine solche Gelegenheit, es ist eine besonders dramatische. Der Moment für eine Regierung der Besten, ein Governissimo. Der berufene Draghi, früher Vorsitzender der Europäischen Zentralbank, wäre ein Premier in der Not.

Es ist nämlich zu befürchten, dass der Schwanzschlag von Corona erst noch ansteht, nach Tod und Tragödie. Die Pandemie wird wohl nachhaltige Wunden hinterlassen in der Gesellschaft. Fällt im März der Entlassungsstopp, droht hohe Arbeitslosigkeit, und einmal mehr werden die Jungen am stärksten leiden. Zugleich steckt in diesem schwierigen Moment aber auch eine grandiose, ja eine historisch einmalige Chance für die Gestaltung der Zukunft.

Italien könnte moderner, umweltfreundlicher, digitaler werden

Seit dem Marshallplan in den Nachkriegsjahren habe man keine solche Chance mehr gehabt, heißt es in den italienischen Medien. Die Mittel aus dem Wiederaufbaufonds der Europäischen Union seien gar noch größer: 209 Milliarden Euro an Zuschüssen und Darlehen. Damit lässt sich etwas anfangen. Manches kann besser werden im Land - moderner, digitaler, umweltfreundlicher. Wenn das Geld nur gut investiert wird, begleitet von Reformen. Und dafür soll Mario Draghi sorgen. Wie ein Garant soll er dastehen, wie eine Versicherung, eine Vollkasko. Europa soll sehen, dass Italien das Geld nicht leichtfertig verprasst und verschwendet. Sondern dass es einen klaren Plan hat: Prioritäten und Projekte, alles mit Zeitvorgaben.

Natürlich ist es immer wünschenswerter, wenn gewählte Politiker die Regierung stellen, weil durch sie das Volk regiert. Doch wenn man es genau nimmt, war auch der Rechtsprofessor und Anwalt Giuseppe Conte kein gewählter Politiker. Er gehörte auch keiner Partei an. Conte kam 2018 zufällig an die Macht, als Unbekannter, und spielte sich in der ersten Welle der Pandemie in die Herzen der Italiener, mit hartem Kurs gegen die Seuche und mit seinem geschickten Verhandeln in Brüssel. Aus dem Nobody wurde ein Darling, ein Staatsmann auch. Krise konnte er gut.

Auch Mario Draghi ist zunächst nur eine Wette

Phase zwei gelang ihm aber deutlich weniger gut. Die ersten, arg verspäteten Entwürfe für einen Recovery Plan waren so generisch gehalten, dass man sich nicht nur in Brüssel wunderte. Contes Koalition zerfaserte, das Fundament war zerrüttet, da war kein Leben mehr drin. Unter diesen Umständen wäre ein Weiterregieren ein Wagnis gewesen, mit ständiger Sturzgefahr, und das kann sich Italien in dieser Zeit einfach nicht leisten.

Dennoch ist auch Draghi, der viel Beschworene, zunächst eine Wette. Hat er einen Plan, eine Vision für das Land? Und wie denkt er eigentlich? Man hat den reservierten Draghi ja bisher immer nur über Banken, über Wirtschaft und Währungen sprechen hören, aber sonst? Es ist wie bei einem alten Wein, den man lange im Keller liegen hat und dann hervorholt - in der Hoffnung, dass er nicht enttäuscht.

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