Iran:Ein Volk in Angst wäre manchen wohl ganz recht

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Das Massaker in Schiras verdeutlicht, wie labil die Zustände in der Republik der Mullahs sind.

Kommentar von Tomas Avenarius

Es soll ein militanter Sunnit gewesen sein, der das Massaker veranstaltet hat, vielleicht schickte ihn der "Islamische Staat". Während 80 Millionen Iraner und weite Teile der Welt auf die Provinz Kurdistan und die Proteste am Grab von Mahsa Amini schauten, überfiel ein Bewaffneter in der weit entfernten Stadt Schiras einen schiitischen Pilgerschrein, erschoss 13 Menschen in dem Heiligtum. Seine Opfer hatte er offenbar völlig wahllos bestimmt, unter ihnen sind Kinder.

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Der unerwartete Terrorakt im Schiiten-Schrein fällt in eine Zeit, in der Iran in Aufruhr ist. Die Teheraner Führung muss um ihre Macht fürchten, seit die 22-jährige Kurdin Mahsa Amini vor sechs Wochen in der Hand der Sittenpolizei ums Leben kam. Zehntausende Demonstranten fordern Tag um Tag den Sturz des Mullah-Regimes. Die Regierung macht den unzufriedenen Bürgern kein auch nur halbwegs überzeugendes Reformangebot, setzt auf Schlagstock, Wasserwerfer und Gewehr. Denkbar ist, dass die Geheimdienste den Mörder zum Schrein geschickt haben, um den Iranern Angst vor jeder Destabilisierung der Islamischen Republik zu machen. Sie könnten versuchen, den Protestierenden den Rückhalt im Volk zu entziehen: mit der Angst vor Chaos und Terror in Zeiten landesweiten Aufruhrs.

Das könnte eine Erklärung für den Anschlag sein. Aber in dem multiethnischen Iran gibt es seit Langem bewaffnete sunnitische Separatistenbewegungen, Kurden und Belutschen sind seit Jahrzehnten rebellisch. Der in der Großregion wie ein Krebsgeschwür wuchernde IS hat sich im Untergrund etabliert. Egal also, wer für den Mordanschlag in Schiras verantwortlich zeichnet: Die Toten im Schrein erinnern daran, dass ein Regimewechsel in Iran zwar mehr als wünschenswert ist. Doch die Gefahren sollten beim Hoffen auf ein Ende der Islamischen Republik bewusst im Auge behalten werden, um einen hoffentlich neuen Iran nicht schnell zum zweiten Irak werden zu lassen.

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Am 16. September starb die Kurdin Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die iranische Sittenpolizei. Ihr Tod löste landesweit Demonstrationen gegen die islamische Republik aus. Sie dauern bis heute an. Eine Chronologie von 40 Tagen Wut.

Von Carina Seeburg, Léonardo Kahn und Niklas Keller

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