Haushaltsdisziplin:Der biegsame Herr Lindner

Lesezeit: 1 min

Milliarden in einen Investitionsfonds auszulagern - das fand die Oppositions-FDP noch verfassungswidrig. Nicht so die Regierungs-FDP.

Von Henrike Roßbach

Als Olaf Scholz, noch als SPD-Finanzminister der großen Koalition, im Frühjahr 2020 seinen ersten pandemiebedingten Nachtragshaushalt in den Bundestag einbrachte, sagte er: "Dafür gibt es kein Drehbuch." Mittlerweile sitzt er im Kanzleramt, Finanzminister ist FDP-Chef Christian Lindner, und ein Drehbuch für Nachtragshaushalte gibt's auch. Der Plot geht so: Angesichts der Krise nutzt der Staat die Ausnahmeklauseln der Schuldenbremse und erlaubt sich so viele Kredite, wie er zu brauchen glaubt - plus einen Schluck über den Durst, den er in einen Fonds für dringend notwendige Klima- und Infrastruktur-Investitionen verschiebt.

Das klingt zugleich pragmatisch als auch nach einem Trick. Und tatsächlich ist der Nachtragshaushalt, den das Kabinett am Montag beschlossen hat, genau das: eine Schuldenbremsen-Schummelei und trotzdem der wohl immer noch beste Weg, das schwierigste Rätsel des Koalitionsvertrags zu lösen - die Transformation des Landes anzustoßen, ohne die Schuldenregeln gleich ganz abzuschaffen.

Beinahe noch sehenswerter als der Griff in die haushaltspolitische Trickkiste aber ist die Gelenkigkeit, mit der die Liberalen mit den verschobenen 60 Milliarden Euro hantieren. Als Scholz noch Finanzminister war, fand die alte FDP, also die in der Opposition, es nämlich noch schwer verwerflich, dass schon damals Geld für schlechte Zeiten in den Klimafonds verschoben wurde. Nun aber stellt Lindner sich schlicht an die Spitze der Bewegung und nennt das, was seine Partei damals verfassungswidrig fand, einen "Ausdruck von Gestaltungswillen".

Die Grenzen von Lindners Gestaltungswillen dürften demnächst auch die europäischen Partner austesten wollen. Gleich am Montag reiste der Minister zum Antrittsbesuch nach Paris, wo man sich schon lange mehr deutsche Beweglichkeit wünscht, etwa beim Stabilitäts- und Wachstumspakt. Die Ampel, so viel ist gewiss, wird der FDP noch so manchen Spagat abverlangen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: