Den Tod wollte Gregor Schneider 2008 als Kunstwerk realisieren. Ein Raum, in dem tatsächlich ein Mensch stirbt, vor den Augen der Öffentlichkeit. Dazu kam es nicht. Zu viele fanden dieses Ausstellen des Sterbens unethisch und sensationsheischend. Aber für Schneider konnte es nichts Ethischeres geben, als sich offen mit dem Unvermeidlichen zu beschäftigen. Gerade in einer rastlosen Gesellschaft, die ständig ein Leben unendlicher Optionen predigt, und dadurch in die Natur wächst wie ein Krebsgeschwür. Diese Konsequenz zu verdrängen, das ist ihm fremd. Darum will Gregor Schneider über den Tod sprechen. Das ganze künstlerische Werk des 52-Jährigen, das jetzt in einer Werkschau in der europäischen Kulturhauptstadt Esch in Luxemburg zu sehen ist, hat mit der Ästhetik von Abschieden zu tun. Und geht deswegen jeden etwas an.
"Totes Haus u r" hieß bereits die erste große Installation, die Schneider 2001 zu einem weltbekannten Künstler machte. Noch vor seiner Studienzeit an der Kunstakademie Düsseldorf, also vor 1989, hatte er damit begonnen, sein Elternhaus in Rheydt umzubauen: als labyrinthischen Albtraum spartanischer Räume mit den typischen Installationen einer Nachkriegsgeneration bestückt, und alles irgendwie bedrückend falsch: zu niedrige Decken, zu enge Zugänge, zu kahl, zu fensterlos, zu albtraumhaft. Als er diese Verwandlung einer aussterbenden proletarischen Lebenswelt in der NS-Architektur des Deutschen Pavillons bei der Biennale Venedig neu installierte, schuf er damit ein bedrückendes Symbol des deutschen Unterbewussten, für das er als nahezu unbekannter Künstler den Goldenen Löwen für die beste Arbeit gewann.
Was er daheim mit Goebbels' Geburtshaus machte
Immer wieder bezog sich Schneider mit seinen architektonischen Interventionen auf Regimes, die den Tod anderer als Teil ihrer Politik verstehen. Joseph Goebbels' Geburtshaus, das ebenfalls in Rheydt steht, baute er um, ließ den Bauschutt in Berlin vor der Volksbühne abstellen, garniert mit dem Gerücht, er habe das Gebäude gekauft und abgerissen. Tatsächlich führte Schneider eine Art Kunstleben in dem schmalen grünen Goebbels-Haus. In Esch ist diese Gegenpropaganda zu den Pathosformeln des Propagandaministers in Bildern dokumentiert.
Rheydt, heute ein Stadtteil von Mönchengladbach, wurde im Krieg zu 80 Prozent zerstört und erhielt durch die Reißzähne der Ruhrbagger weitere klaffende Wunden. Nachdem Schneider dort aufgewachsen war, bearbeitete dieser Innenarchitekt des Unterbewussten auch den Städtetod als Thema. In der ehemaligen Erzförderstadt Esch, die in diesem Jahr eine von drei Kulturhauptstädten Europas ist, findet er dafür den idealen Ort. Auch hier hat die Deindustrialisierung eine todgeweihte Kommune hinterlassen, die sich nun aus den Trümmern der Geschichte wiederbelebt. Das neue Kunstmuseum, in dem Schneider jetzt seine Räume installiert hat, der Keller im dritten Stock, ein Kinderzimmer ohne Fenster, war vorher ein totes Möbelkaufhaus.
Gregor Schneider selbst ist ein freundlicher Mann, ein eher zurückhaltender Erklärer seiner Geschichtsarbeit. Die großen Kontroversen, die er immer wieder provozierte, etwa als er 2008 die Kaaba von Mekka auf dem Markusplatz in Venedig nachbauen wollte (was die Regierung in Rom untersagte), scheinen nicht recht zu seiner dezenten Wirkung zu passen. Doch Schneiders beharrliches Bestreben, einen ehrlichen Umgang mit dem Tabuisierten zu finden, arbeitet auch nicht mit vordergründigem Schock. Zu großer Aufregung führt vielmehr sein Talent, präzise wunde Punkte zu berühren. Auch das Sterbezimmer hat er schließlich realisiert, wenn auch ohne Körper: Sozusagen als Denkraum über den Tod während der Pandemie installierte er es im Januar 2021 im Staatstheater Darmstadt: Kirschholzfurniere, Fischgrätenparkett, Marmorplatten über der Heizung. Als Anstoß zu einer lebendigen Diskussion über die Art, wie und wo Menschen im Ernstfall den Abschied erleben. Beklemmend anonym und wenig schön.