Meine Generation hat immer zu den Verschonten gehört. Zu denen, die - ohne eigenes Zutun oder Verdienst - Glück gehabt hatten. Auch wenn das Wort nicht verwendet wurde. Mit diesem Bewusstsein sollten wir aufwachsen. Ich bin 1967 geboren. Meine Kindheit war durchzogen von mal bewussten, mal unbewussten Verweisen meines Vaters auf Krieg und Not, die er als Kind erlebt hatte. Überall im Alltag gab es Spuren der Versehrung, die nie so benannt wurden, aber die doch als Reste von im Krieg Erlerntem erkennbar waren. Da war diese ängstliche Unruhe in geschlossenen Räumen oder das Meiden von Menschenmengen. Es wurden Fenster und Türen auch im Winter aufgerissen. In Kinos immer nur Gangplätze. Es dauerte lange, zu lange, bis ich diese eigenartigen Gewohnheiten auch den entsprechenden Erfahrungen des Kindes, das mein Vater einmal gewesen war, mit Luftbombardements zuordnen konnte. Wie bei einem Negativfilm ließen sich die früheren Erlebnisse und Prägungen in den komplementären Tonwerten erahnen: Was einmal bitteres Hungern gewesen war, zeigte sich darin, dass nichts weggeworfen werden durfte. Etwas Essbares lediglich nicht zu mögen, galt nicht.
Gesellschaft:Unsere Zeit, unsere Prüfung
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Die Nachkriegsgenerationen sind damit groß geworden, einfach nur Glück gehabt zu haben. Doch die vielen existenziellen Krisen zeigen: Die Schonfrist ist vorbei.
Kolumne von Carolin Emcke
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