Veränderungen sind, da braucht man sich nichts vorzumachen, wahnsinnig anstrengend. Deshalb liegt es nahe anzunehmen, dass es vor allem Wunschdenken ist, wenn Deutschlands Arbeitnehmer - wie nun in einer neuen Umfrage - sagen, die Digitalisierung würde ihren Job bestimmt nicht verändern oder gar gefährden.
Tatsächlich ist es nicht einfach, eine Haltung zu finden zu diesem epischen Umbruch, den die Welt durch die Digitalisierung erlebt. Auf das Tempo und die Richtung des Wandels hat der oder die Einzelne keinen Einfluss, da ist die Idee, einfach den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als ginge einen das ganze Theater nichts an, zumindest menschlich nachvollziehbar. Aber hilfreich? Nein, ist sie nicht.
Stattdessen, das ist die unangenehme Wahrheit, könnte man die Digitalisierung zum Anlass nehmen, sich selbst und seine Arbeit zu hinterfragen. Ohne Panik, auch ohne übertriebene Selbstkritik - aber mit einem ehrlichen Blick auf die Frage, ob das, was man da so jeden Tag tut, eigentlich aktuell die bestmögliche Qualität hat und in Zukunft noch sinnvoll sein wird.
Wer sich selbst so eine schonungslose Analyse zumutet, kann nur gewinnen. Zum einen, weil man dadurch die Chance bekommt, das eigene berufliche Profil zu schärfen. Sich eine zusätzliche Qualifikation anzueignen, sich zu spezialisieren, vielleicht auch zu überlegen, wie man schon vorhandene Stärken besser nutzen kann. Das erhöht die Chancen, auch in einem veränderten Umfeld mit seiner Expertise gefragt zu sein. Zum Zweiten, und das ist vielleicht noch wichtiger, ist aktiv zu werden das beste Mittel gegen das Gefühl des Kontrollverlusts, das viele Menschen im Zusammenhang mit der digitalen Revolution so verunsichert. Wer sein eigenes berufliches Schicksal in die Hand nimmt, bestimmt selbst, wie er diesem großen, globalen Veränderungsprozess begegnen will - und fühlt sich nicht, als wäre er Robotern und Algorithmen wehrlos ausgeliefert.
Die nervige Dienstreisenabrechnung? Dafür gibt es längst Apps
Dazu kommt: Die Digitalisierung ist keinesfalls nur eine Bedrohung für die Arbeitnehmer von heute, auch nicht für die mit weniger anspruchsvoller Qualifikation. Der technologische Fortschritt kann viele Erleichterungen bringen - wenn Tätigkeiten, die schlecht für die Gesundheit sind, künftig von Robotern übernommen werden und ihre menschlichen Kollegen sich auf Bereiche konzentrieren, die anspruchsvoller und weniger gesundheitsschädlich sind, womöglich auch mehr Spaß machen, ist das eine gute Sache. Wenn Algorithmen Fehler verhindern, ob im Krankenhaus oder bei der Buchhaltung, profitieren davon alle. Und auch wer sich einfach nur den nervigen Papierkram zur Dienstreisenabrechnung spart, weil eine App schon alles automatisch erfasst hat, wird nicht umhinkönnen, der Digitalisierung auch gute Seiten zuzugestehen.
Bei der Überlegung, was eine veränderte Arbeitswelt bedeuten kann, darf man auch noch einen Schritt weitergehen. Digitalisierung kann auch bedeuten, Leistungen, die man bisher an einem Ort für einen Arbeitgeber ausgeführt hat, künftig sehr viel unabhängiger zu gestalten. Vielleicht gibt es also die Möglichkeit, sich selbständig zu machen, für mehrere Kunden zu arbeiten und mit der alten Tätigkeit finanziell in völlig neue Dimensionen aufzusteigen. Oder, je nach Priorität, weniger oder flexibler zu arbeiten und dabei sein Einkommen stabil zu halten.
Digitalisierung kann heißen, das Verhältnis von Freizeit und Arbeit völlig neu zu definieren: Wenn frühere Generationen große Reisen oft erst für den Ruhestand geplant haben, ist heute in vielen Jobs beides gleichzeitig möglich: Sich die Welt anzusehen und die Arbeit zu machen, die der Job daheim verlangt. Ob man am Schreibtisch in Berlin sitzt oder am Strand von Mexiko, ob man sich am Konferenztisch in Tutzing langweilt oder über eine Videoschalte aus Lissabon, das macht oft kaum mehr einen Unterschied - und das skizziert ganz gut, welche Möglichkeiten die Digitalisierung für die einzelnen Arbeitnehmer bringen kann. Sie ist nicht nur eine Chance, einen Job nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten, sondern ein ganzes Leben.
Damit das funktioniert, damit die guten Seiten der Digitalisierung voll genutzt und die weniger angenehmen ausgehalten werden können, sind auch die Unternehmen gefragt. Sie müssen deutlich machen, welche Erwartungen sie an ihre Leute haben, wenn sich die Rahmenbedingungen so drastisch verändern, wie das derzeit der Fall ist. Und sie müssen sicherstellen, dass sie ihnen alle Möglichkeiten geben, um sich zu entwickeln. Bei Bedarf auch am Strand von Mexiko.