Äthiopien:Ein Land wählt den Krieg

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Der Blick durch ein Einschussloch im Ayder-Referral-Krankenhaus auf die äthiopische Stadt Mekele. (Foto: Ben Curtis/AP)

Ministerpräsident Abiy will nun selbst an die Front gehen. Warum nicht nur der Friedensnobelpreisträger gescheitert ist, sondern auch das Land in seiner jetzigen Form.

Kommentar von Bernd Dörries

Jetzt also geht er selbst an die Front. Von Mittwoch an will sich Äthiopiens Ministerpräsident an die Front begeben, will Äthiopien vor dem Untergang retten, wie er sagt. Letztlich scheint er eher bereit zu sein, das Land mit in den Abgrund zu reißen. Sollte es noch eines Nachweises bedurft haben, dass Abiy Ahmed keine ideale Wahl war für den Friedensnobelpreis, er hat diesen nun selbst geliefert. Der Jugend seines Riesenlandes ruft er zu: Wollt ihr in die Geschichte eingehen, dann treffen wir uns morgen an der Front.

Tausende Jugendliche hat er schon in dem Bürgerkrieg verheizt, jetzt werden es noch mal sehr viele mehr. Von einem kleinen Verhandlungsfenster hatten die Vermittler aus Afrika, der EU und den USA in den vergangenen Wochen gesprochen, von der Hoffnung, diesen Krieg zu beenden. Abiy schmeißt dieses Fenster gerade zu. Der Krieg wird erst einmal weitergehen, vielleicht auch deshalb, weil er einer einfacheren Logik folgt: Es geht immer um die nächste Schlacht, das Überleben, um alles, die Reihen schließen sich, grundsätzliche Fragen werden von Kriegsgebrüll abgelöst.

Aus dem Riesenreich mit 80 Volksgruppen sollte eine Nation werden

Als Abiy 2018 antrat, wollte er aus dem Riesenreich mit mehr als 80 Volksgruppen und Dutzenden Sprachen eine Nation machen, in der sich die Menschen zuerst als Äthiopier sehen, und dann als Angehörige ihrer Ethnie. Drei Jahre später ist Äthiopien so polarisiert wie nie, befinden sich die Volksgruppen im Krieg. Abiy ist gescheitert, Äthiopien in seiner jetzigen Form auch. Nationen funktionieren nur, wenn die Kraft im Zentrum größer ist, als es die Fliehkräfte sind. In Äthiopien hat in den vergangenen Jahrhunderten letztlich ein Nationenprojekt das nächste abgelöst, jede der 80 Volksgruppen kann eine lange Litanei erzählen, wie sie von der anderen benachteiligt wurde.

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Abiy zieht jetzt in die mal wieder entscheidende Schlacht gegen die Volksgruppe der Tigray. Deren politische Elite hatte Äthiopien bis zu seinem Amtsantritt drei Jahrzehnte lang beherrscht. Macht, Geld und Posten teilte sie unter sich auf. Jetzt versucht sie womöglich, die Hauptstadt Addis Abeba zu erobern und Abiy zu stürzen.

Wie soll die Zukunft aussehen? Dafür hat keiner einen Plan

Es ist ein Konflikt, von dem alle Seiten womöglich wissen, dass er militärisch nicht zu gewinnen ist. Und dennoch machen sie weiter, weil sie sonst eine Frage beantworten müssten: Wie soll die Zukunft des Landes aussehen? Die Tigray wissen, dass sie vielleicht den Krieg gewinnen können, aber nicht den Frieden, so verhasst sind sie im Land. Bei Abiy lässt sich darüber diskutieren, inwieweit er Kriegstreiber oder Getriebener ist. Sein Militär ist zusammengebrochen, er wird von einer fragilen Allianz gestützt, deren gemeinsamer Nenner der Kampf gegen die Tigray ist. Ein Plan für das Danach ist nicht erkennbar, den Versöhner kann er nach all den Grausamkeiten nicht geben.

Also holt er wieder die alten Tricks raus, die schon viele afrikanische Führer angewandt haben: Er startet eine Kampagne gegen die sogenannten neokolonialen Kräften im Westen, die Äthiopien zerstören wollten. Tausende Exil-Äthiopier gehen derzeit mit solchen Parolen auf die Straße. Es sind oft dieselben Leute, die gerade noch fürchterlich stolz darauf waren, dass Äthiopien nie kolonialisiert wurde. Sicher: Viele Medien berichten verzerrt über den Konflikt, die Führer der Tigray werden zu wenig kritisiert. Iran und die Türkei sollen Drohnen liefern, die Emirate um Einfluss kämpfen. Es ist und bleibt aber ein Krieg mit äthiopischen Ursachen und Protagonisten. Der auch nur durch äthiopische Lösungen beendet werden kann. Doch diejenigen, die nicht mit lautem Gebrüll zur Front rennen, sie sind gerade nicht zu hören.

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