Der Autor unterrichtet Soziologie an der University of the Witwatersrand in Johannesburg, Südafrika. Der Artikel fußt auf einem Beitrag von Thomas M. Blaser auf dem Blog africaisacountry.com
Diesen Sommer bieten zwei deutsche Privatsender ihren Zuschauern das Erlebnis, ein exotisches Afrika zu besuchen - vom komfortablen Fernsehsessel aus. RTL sendet seit dem 10. Juli die Realityshow Wild Girls - auf High Heels durch Afrika. Hier messen sich weiße Frauen, hauptsächlich blonde Starlets und C-Promis, ausgestattet mit Kollagen, Silikon und Botox, in bizarren Wüsten-Wettkämpfen, um am Ende eine Trophäe, den "goldenen High Heel" in Händen zu halten. Die Konkurrenz von ProSieben will mithalten und startet im August die Reality Queens auf Safari.
Die beiden Fernsehsender sind nicht die ersten, die mit Realityshows aufwarten, in denen eine exotische Gegend als Hintergrund dient: 2011 strahlte ein holländischer Sender eine Staffel lang ein ähnliches Spektakel aus mit dem Title Queens of the Jungle ("Königinnen des Dschungels"). Deren Produktionsfirma Eyeworks stellte bereits 2005 eine ähnliche holländisch-belgische Show namens Groeten uit de Rimboe ("Grüße aus dem Dschungel") auf die Beine. Außerdem gibt es die belgische Show mit dem malerischen Namen Toast Kannibaal ("Toast Kannibale"). Auch wenn zumindest der letztgenannte Titel nichts Gutes verheißt, so scheinen die holländisch-belgischen Shows doch ein klein wenig einfallsreicher als deren deutsche Gegenstücke.
Gemeinsamer Urahn ist die seit 2002 laufende britische Realityshow I am a Celebrity - Get me out of here!, in Deutschland bekannt als Ich bin ein Star - holt mich hier raus! (RTL). Wie in der ersten holländischen Show beschränkt sich das Exotische der britischen Sendung auf eine inszenierte Wildnis - als Ort, an dem sich Prominente und Personen, die gerne prominent würden, messen.
Fester Bestandteil des Fernsehspektakels
Mit Wild Girls auf RTL hat das Genre einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die meisten Wettkämpferinnen sind Starlets aus älteren Realityshows, die sich bemühen, irgendwelche physischen Vorzüge in Szene zu setzen. Eine der "Wettkämpferinnen" etwa ist eine Travestie-"Künstlerin" aus Österreich. Die Zuschauer dürfen die Frauen auslachen, die mit ihrem Benehmen in der Wüste Namibias allesamt als hirnlose Zicken gekennzeichnet sind. Und im Gegensatz zu anderen Shows sind die namibische Wüstenlandschaft und deren Bewohner, die Himba, ein fester Bestandteil des Fernsehspektakels.
Knapp bekleidete Frauen in Stöckelschuhen gehören zur europäischen Fernsehunterhaltungsszene, besonders Silvio Berlusconis Sender kommen einem da in den Sinn. Deren offener Sexismus und die Verunglimpfung von Frauen provoziert kaum noch eine Reaktion in Italien oder Europa. Die prominente Rolle des angeblich "primitiven" Himba-"Stamms" steuert dieses Dauerspektakel jedoch in eine neue Dimension.
Laut Spiegel Online hat sich die Bundestagsabgeordnete Ute Koczy, die entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, in einem Schreiben an RTL gewandt mit der Frage, wieso der Sender ausgerechnet Namibia als Drehort ausgewählt habe. Schließlich sei Namibia eine ehemalige deutsche Kolonie, in der deutsche Truppen 1904 einen Genozid gegen die einheimischen Herero und Nama zu verantworten hätten. Der Brief implizierte, die Deutschen hätten eine moralische Verantwortung gegenüber ihrer ehemaligen Kolonie und deren Einwohnern, die sie nicht einfach "benutzen" könnten, ohne sich der schwierigen, kolonialen Vergangenheit bewusst zu sein.
Weiter fragte Koczy, wie die Produzenten mit der prekären Situation der Himba umzugehen gedenken, eines ärmlichen Hirtenvolks im Norden des Landes, dessen Lebensstil bedroht ist. Der Sender habe geantwortet, solche politischen und historischen Bedenken seien nicht seine Sache. Das Konzept von Wild Girls ziele auf Unterhaltung. Und um die Korrektheit der Show zu rechtfertigen, verwies eine RTL-Sprecherin demnach darauf, dass der namibische Tourismusverband das Filmen mit den Himba unterstütze.