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"Wild Girls" bei RTL:Taktloses aus der Ex-Kolonie

Lesezeit: 5 Min.

RTL schickt in seiner Realityshow "Wild Girls" weibliche C-Promis in die namibische Wüste. Dort müssen sich die weißen Frauen vor Angehörigen der Himba blamieren. Historische Ungerechtigkeiten gleicht man so allerdings nicht aus.

Ein Gastbeitrag von Thomas M. Blaser

Der Autor unterrichtet Soziologie an der University of the Witwatersrand in Johannesburg, Südafrika. Der Artikel fußt auf einem Beitrag von Thomas M. Blaser auf dem Blog africaisacountry.com

Diesen Sommer bieten zwei deutsche Privatsender ihren Zuschauern das Erlebnis, ein exotisches Afrika zu besuchen - vom komfortablen Fernsehsessel aus. RTL sendet seit dem 10. Juli die Realityshow Wild Girls - auf High Heels durch Afrika. Hier messen sich weiße Frauen, hauptsächlich blonde Starlets und C-Promis, ausgestattet mit Kollagen, Silikon und Botox, in bizarren Wüsten-Wettkämpfen, um am Ende eine Trophäe, den "goldenen High Heel" in Händen zu halten. Die Konkurrenz von ProSieben will mithalten und startet im August die Reality Queens auf Safari.

Die beiden Fernsehsender sind nicht die ersten, die mit Realityshows aufwarten, in denen eine exotische Gegend als Hintergrund dient: 2011 strahlte ein holländischer Sender eine Staffel lang ein ähnliches Spektakel aus mit dem Title Queens of the Jungle ("Königinnen des Dschungels"). Deren Produktionsfirma Eyeworks stellte bereits 2005 eine ähnliche holländisch-belgische Show namens Groeten uit de Rimboe ("Grüße aus dem Dschungel") auf die Beine. Außerdem gibt es die belgische Show mit dem malerischen Namen Toast Kannibaal ("Toast Kannibale"). Auch wenn zumindest der letztgenannte Titel nichts Gutes verheißt, so scheinen die holländisch-belgischen Shows doch ein klein wenig einfallsreicher als deren deutsche Gegenstücke.

Gemeinsamer Urahn ist die seit 2002 laufende britische Realityshow I am a Celebrity - Get me out of here!, in Deutschland bekannt als Ich bin ein Star - holt mich hier raus! (RTL). Wie in der ersten holländischen Show beschränkt sich das Exotische der britischen Sendung auf eine inszenierte Wildnis - als Ort, an dem sich Prominente und Personen, die gerne prominent würden, messen.

Fester Bestandteil des Fernsehspektakels

Mit Wild Girls auf RTL hat das Genre einen neuen Tiefpunkt erreicht. Die meisten Wettkämpferinnen sind Starlets aus älteren Realityshows, die sich bemühen, irgendwelche physischen Vorzüge in Szene zu setzen. Eine der "Wettkämpferinnen" etwa ist eine Travestie-"Künstlerin" aus Österreich. Die Zuschauer dürfen die Frauen auslachen, die mit ihrem Benehmen in der Wüste Namibias allesamt als hirnlose Zicken gekennzeichnet sind. Und im Gegensatz zu anderen Shows sind die namibische Wüstenlandschaft und deren Bewohner, die Himba, ein fester Bestandteil des Fernsehspektakels.

Knapp bekleidete Frauen in Stöckelschuhen gehören zur europäischen Fernsehunterhaltungsszene, besonders Silvio Berlusconis Sender kommen einem da in den Sinn. Deren offener Sexismus und die Verunglimpfung von Frauen provoziert kaum noch eine Reaktion in Italien oder Europa. Die prominente Rolle des angeblich "primitiven" Himba-"Stamms" steuert dieses Dauerspektakel jedoch in eine neue Dimension.

Laut Spiegel Online hat sich die Bundestagsabgeordnete Ute Koczy, die entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, in einem Schreiben an RTL gewandt mit der Frage, wieso der Sender ausgerechnet Namibia als Drehort ausgewählt habe. Schließlich sei Namibia eine ehemalige deutsche Kolonie, in der deutsche Truppen 1904 einen Genozid gegen die einheimischen Herero und Nama zu verantworten hätten. Der Brief implizierte, die Deutschen hätten eine moralische Verantwortung gegenüber ihrer ehemaligen Kolonie und deren Einwohnern, die sie nicht einfach "benutzen" könnten, ohne sich der schwierigen, kolonialen Vergangenheit bewusst zu sein.

Weiter fragte Koczy, wie die Produzenten mit der prekären Situation der Himba umzugehen gedenken, eines ärmlichen Hirtenvolks im Norden des Landes, dessen Lebensstil bedroht ist. Der Sender habe geantwortet, solche politischen und historischen Bedenken seien nicht seine Sache. Das Konzept von Wild Girls ziele auf Unterhaltung. Und um die Korrektheit der Show zu rechtfertigen, verwies eine RTL-Sprecherin demnach darauf, dass der namibische Tourismusverband das Filmen mit den Himba unterstütze.

Auf Namibias weltweiten Tourismusplattformen entwickelten sich die Himba tatsächlich zu einem lukrativen Magnet, bemerken die Ethnologen Michael Bollig und Heike Heinemann von der Universität Köln. Sie beobachten, dass das touristische Marketing des Landes, egal ob lokal oder international, permanent vermeintlich primitive und pittoreske Himba-Frauen vor Wüstenlandschaft zeigen. Eine solche Präsentation geht zurück auf Kolonial- und Apartheidzeiten. Die namibische Tourismusbehörde scheint sich wenig Gedanken zu machen, wenn es um die Vermarktung der Kultur und Menschen des Landes geht. Hollywoodstar Angelina Jolie drehte 2003 ihren Film Beyond Borders in Namibia und brachte 2006 ihre Tochter Shiloh im Küstenort Swakopmund zur Welt. Seither rollt ihr das Land den roten Teppich aus, wann immer sie dort ist. Malawi hat Madonna, Namibia hat Angelina Jolie.

Bilder der Himba, insbesondere von Frauen als erotische Objekte mit entblößten Brüsten, sind allgegenwärtig in Europas Popkultur. Eine kurze Internetsuche fördert vielfältige Himba-Fotografien zu Tage, die ein erotisch-natürliches Idyll zeigen. Das vielleicht krasseste Beispiel ist ein Artikel aus der deutschen Marie Claire vom September 1998, der die Himba-Frauen für ihre freie Liebe und Raffinesse im Verführen von Männern feierte. Im selben Jahr zeigte ein deutscher TV-Sender in einer Erotik-Reihe nach Angaben des Forscherduos Bollig und Heinemann Himba in einem Softporno.

Für den schwedischen Ethnologen Christofer Warnlof, der als Berater 1996 den Dreh einer Discovery Channel-Produktion über die Himba begleitete, hat der ethnologische Film als solcher dazu beigetragen, dass die Himba als "primitiv" dargestellt werden. Natur-Dokumentationen sind im europäischen Fernsehen seit Jahren sehr beliebt, und diese Beliebtheit machen sich jetzt auch Realityshows zunutze: So wie die Himba in der europäischen Kultur immer wieder dargestellt wurden, erscheint die Entscheidung von RTL, auf die Himba und auch auf die namibische Landschaft als Quotentreiber beim deutschen Publikum zu setzen, genauso logisch wie zynisch.

Der schlechte Geschmack dieser deutschen Realityshow ist offensichtlich. Aber die Diskussionen in den deutschen Medien über die Sendung werfen auch noch unangenehme Fragen über Stereotypen im Fernsehen auf. So heißt es auf Spiegel Online, dass nun endlich der koloniale Blick erwidert werde - diejenigen, die jetzt angestarrt würden, seien die weißen Frauen. Die Zuschauer seien herzlich eingeladen, sich über die Frauen mit ihren Botox-Lippen und künstlichen Brüsten lächerlich zu machen. Für Autor Christian Buß ist die Zurschaustellung der weißen Frauen vor afrikanischer Kulisse nicht etwa "eurozentrische Überheblichkeit", sondern eher die "totale Gleichgültigkeit" gegenüber den Himba. So etwas suggeriert, dass die Herabsetzung von Afrikanern als Statisten im Hintergrund zur Erheiterung von Europäern ein akzeptabler Vorgang ist.

Wertgleichheit zwischen Schwarz und Weiß?

Focus Online zählt die exotischen Tiere auf, die man in der namibischen Wüste antrifft, "gefährliche Raubtiere" wie Leoparden, Schakale, Krokodile, Nilpferde, Vogelstrauße; und der Autor wird nicht müde, die pittoreske, ja sogar primitive Lebensweise der Himba, "die soziale Kontakte durch Gesellschaftstänze und Festessen pflegen", hervorzuheben. Eben ganz ethnologisch betrachtet. In einem anderen Focus-Artikel namens "Zicken-Alarm in Namibia: Die Wilden sind die Weißen" behauptet der Autor tatsächlich, dass "unsere Gesellschaft ein koloniales Verhältnis zu sich selbst" entwickle - indem man weiße Frauen nach Afrika schicke. Wie schon zuvor Spiegel Online meint auch Focus, dass jetzt die Weißen angestarrt würden, als ob sie im Zoo seien, während die Schwarzen diejenigen seien, die konsterniert ihre Köpfe ob der grotesken Vorführung schüttelten.

Das soll wohl Wertgleichheit zwischen Schwarz und Weiß, zwischen heute und der Kolonialzeit, zwischen der am Rande lebenden Himba auf der einen und deutschen TV-Starlets und ihren Zuschauern auf der anderen Seite herstellen.

Im Kontrast zu den Jahrmärkten im Europa des 19. Jahrhunderts, wo exotische Männer und Frauen wie Tiere ausgestellt waren, werden jetzt die Teilnehmerinnen einer Realityshow statt der einheimischen Afrikanerinnen ausgestellt. Als ob koloniale Vermächtnisse aufgelöst werden können, indem wir uns im Fernsehen über weiße Frauen in Afrika lustig machen.

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Quelle:
SZ vom 31.07.2013
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