TV-Kritik: "3 nach 9":Talk mit dem Tiger

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Freche Fragen, charmante Antworten und ein leicht erröteter Co-Moderator: Judith Rakers moderiert mit Giovanni di Lorenzo "3 nach 9" - ein durchaus unterhaltsamer Abend.

Rupert Sommer

Das wäre geschafft: Judith Rakers, im Hauptberuf Nachrichtensprecherin der Tagesschau, hat ihr erstes reguläres Engagement als Co-Moderatorin des Bremer Talkshow-Klassikers unbeschadet absolviert. Und Giovanni di Lorenzo ist "wieder in festen Händen", wie der Zeit-Chefredakteur selbst beteuerte. Rakers achtet nicht nur darauf, dass ihr Mitplauderer aufrecht im Sessel sitzt, sondern will sich auch um wirklich gute Fragen kümmern. In der aufgekratzten Runde gelang ihr das manchmal gut, manchmal weniger. Doch dem zuletzt - nach dem Holterdipolter-Abgang der glücklosen Talkmeisterschülerin Charlotte Roche - etwas ins Gerede gekommenen Radio-Bremen-Schmuckstück 3 nach 9 wird Rakers mit Sicherheit gut tun.

Ein neues Team mit einer altehrwürdigen Sendung: Giovanni di Lorenzo und Judith Rakers. (Foto: dpa)

Dabei begann die Live-Talkshow schon in den ersten Ausstrahlungssekunden mit einer Panne, einer Mini-Panne, wohlgemerkt. Di Lorenzo, dem Rakers im Vorspann als "neue Dauerfreundin" ans Herz gelegt wurde, stolperte ganz uncharmant in die Sendung und fiel seiner neuen Wunschkollegin gleich mal ins Wort - weil sich beider Laufwege beim Begrüßen der Gäste gekreuzt hatten. Ein Fall von Übermotiviertheit, vermutlich.

Dass die Gespräche rund um den Couchtisch im Studio an der Weser dennoch wie gewohnt munter dahinperlten, lag an den erlesenen Gästen, die alle - auch ohne viele Fragen - viel zu erzählen hatten. Zunächst durfte Schauspieler, Musiker, Autor und Quetschkommoden-Entertainer Ulrich Tukur erzählen. Umschmeichelt für seine vielen Talente, ließ sich Tukur von di Lorenzo einen Satz entlocken, den man guten Gewissens so mancher 3 nach 9-Ausgabe ins Gästebuch schreiben könnte: "Es macht Spaß, sich zu verzetteln", sagte Tukur voller Stolz und gewährte Einblick in sein Innenleben. "Es gibt einfach zu viele Dinge, die mich interessieren", sagte er. Beim Plausch mit dem 53-jährigen Wahl-Venezianer über die Leichtigkeit der Italiener, bei schweren Themen wie dem Sterben und Tukurs frühe Faszination für Todesanzeigen, blieb Rakers zunächst einmal außen vor. Dafür durfte sie den zweiten Gast, Thilo Bode, einst Greenpeace-Chef in Deutschland, heute mahnender Verbraucherschützer seiner neuen Organisation Foodwatch, in die Sendung integrieren. Und das war zunächst einmal keine ganz geschmeidige Aufgabe: Mit Ekelbildern von Fleisch-Resteverwertung schwenkte die Redaktion ruppig vom Charmeur Tukur auf die ernsten Warnungen vor zuviel verstecktem Zucker und Fett in Frühstücks-Cerealien oder Kinderschokolade. Mit knorrigen Formulierungen wie dem Vorwurf an die Lebensmittelriesen, "Körperverletzung durch Irreführung" der Verbraucher zu betreiben, bereicherte Bode die Runde. Rakers nahm alles gewissentlich auf und verabschiedete Bode freundlich: "Vielen Dank für dieses Stück Aufklärung", sagte sie. Anderthalb Stunden bis zum Abspann der Sendung musste er trotzdem bleiben. 3 nach 9-Anhänger wissen, dass Sitzfleisch gefordert ist.

Eine kernigere Bewährungsprobe hatte Rakers erst beim auch mit 70 Jahren immer noch bis in die Haarspitzen virilen Las-Vegas-Sänger Tom Jones. Für den "Tiger" hatte sie sich besonders gute Fragen zurechtgelegt, wie sie durchblicken ließ. Immerhin nahm sie Jones zum "ultimativen Tigertest" ins Gebet und traktierte ihn mit fünf Rakers-Fragen. Dass die "nicht abgesprochen" waren, erschien ihr ausdrücklich wichtig.

Wenn auch beim Talk mit dem Tiger darf über Originalität und frivolen Unterton der Rakers-Fragen trotzdem diskutiert werden. Vom Mann, der sich spätestens mit seinem eben veröffentlichten Gospel-Album "Praise & Blame" den spirituellen Lebensthemen zuzuwenden scheint, wollte sie ernsthaft wissen, ob er jetzt nur noch weiter geschnittene Hosen kauft. Außerdem wurde das Klischee zum Thema, ob sich Tom Jones mittlerweile verbittet, dass seine weiblichen Fans Unterwäsche auf die Bühne werfen. Elegant wahrte der routinierte Profi die Form: Seinem Publikum wolle er nichts vorschreiben, ließ er wissen und lächelte.

Spannend wurde es, als 3 nach 9-Gast Judith Fischer dazwischen ging. Judith Rakers hatte gerade kolportiert, dass Tom Jones' Sohn, der auch Manager des Musikers ist, dem Star angeblich untersagt hat, sich mit den auf der Bühne verstreuten Dessous die Stirn abzuwischen. Die Star-Violinistin, Deutschlands jüngste Professorin, hakte ein und stellte die vielleicht wirklich witzigste Frage des Abends. Fischer wollte vom Tiger nämlich wissen, ob Jones Junior diese Anweisung als Manager oder als Sohn gegeben habe. Eine interessante Zuspitzung.

Doch Rakers stellte schon die nächste Tiger-Frage: "Sie haben Sex als ihre natürliche Droge bezeichnet - gilt das noch?" "Sex makes the world go round", antwortete der verschmitzte Hüftschwung-Philosoph salomonisch. Die Frage, ob er wirklich davon träume, zwei Frauen beim Liebesspiel zu beobachten, konnte Tom Jones nur ausweichend, wenn auch freundlich beantworten. "Ich habe viele Phantasien", sagte er. Rakers wirkte zufrieden. Der Sänger sei noch immer "ein großer Tiger, von Kätzchen keine Spur", urteilte sie. Tiger-Test abgehakt.

Höhepunkt des Abends: Als Tom Jones mit der wirklich erschütternd puristischen Gospel-Variation des John-Lee-Hooker-Songs "Burning Hell" das Studio rockte und jubeln ließ. Dass er einen zweiten Song live spielen würde, kündigten Rakers und di Lorenzo an. Allein die Wartezeit bis dahin wurde etwas lang.

Auf eine weitere Diskussion über Unterwäsche wollte sich übrigens Giovanni Di Lorenzo nicht einlassen. Rakers verkündete nämlich, dass ihrem Co-Moderator auch schon von einer Verehrerin ein Damenslip zugesteckt worden war. Wie Di Lorenzo reagierte, wollte er dann für Rakers überraschend lieber doch nicht vor laufenden Kameras erzählen - und errötete dezent.

Höhepunkt bei "3 nach9": Der "Tiger", Tom Jones, rockt das Fernsehstudio mit einer wirklich erschütternd puristischen Gospel-Variation des John-Lee-Hooker-Songs "Burning Hell". (Foto: APN)

Dass ihm in dieser Sendung nicht an Krawall gelegen war, hatte er ja schon im Interview angedeutet. "Es muss ja einen Grund geben, dass sämtliche deutschen Talkshows dem Gast nicht mit dem Hintern ins Gesicht springen", hatte er sueddeutsche.de gesagt und klar gemacht, dass man die Leute in seiner Sendung einfach mal reden lassen müsse.

Bei Hannelore Elsner wäre dieses Geschäftsprinzip zunächst fast nicht aufgegangen, zu angespannt wirkte die Schauspielerin, die sich in TV-Gesprächsrunden erklärtermaßen unwohl fühlt. Um ihr die Anwesenheit zu erleichtern, spielte ihr Di Lorenzo eine Frage zu, die um das heimliche Dauerthema der Sendung - die Rückbesinnung aufs ureigene Plauder-Handwerk - kreiste. "Was ist das Schlimmste, das einem in einer Talkshow passieren kann?", wollte er wissen. Elsner parierte promt und unerwartet schlagfertig: "... dumme Fragen vielleicht".

Mit Publikumsliebling Moritz Bleibtreu zu plauschen, ist dagegen eine sehr leichte Übung. Judith Rakers fühlte sich mit dem Jud Süß - Film ohne Gewissen-Darsteller sichtlich wohl. Und so stellte sie die gute Nachrichtensprecherschule einfach mal hintan - und dutzte Moritz unaufgefordert und kumpelhaft.

Etwas zu lernen gab es für Di Lorenzo und Rakers schließlich bei der bereits erwähnten Judith Fischer. Angesprochen auf ihre eher anspruchsvolle Stückewahl, etwa die teuflisch anspruchsvollen Paganini-Capricen, hinterließ auch sie einen Merksatz fürs Moderatoren-Stammbuch. "Ich will das Publikum nicht unterhalten, sondern erziehen", forderte sie streng. Di Lorenzo zeigte sich beeindruckt. "Die Hälfte der Zeit-Redaktion würden ihnen für diesen Satz die Ehrendoktorwürde verleihen", lobte er ihren Mut zum Unpopulären.

Alles in allem: Unterhaltsam und kurzweilig waren die zwei Stunden 3 nach 9 auf jeden Fall. Zu etwas mehr Talk-Disziplin werden sich die beiden Co-Moderatoren sicherlich noch erziehen. Tom Jones hätte tatsächlich etwas mehr Sendezeit verdient gehabt. Doch stattdessen blieb di Lorenzo nur ein etwas verlegenes Schlusswort: "Das Ende kommt zur falschen Zeit", sagte er.

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