TV-Kritik: Helmut Schmidt bei Maischberger:Glühendes Rauch-Orakel

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Über Beziehungszeug redet Altkanzler Helmut Schmidt ungern, bei seinem Auftritt bei Sandra Maischberger gibt er lieber den Weltökonomen und Krisenerklärer. Ein bisschen plaudert er dann doch über "Frau Loah".

Johannes Kuhn

Dem Rauch-Orakel ist es sichtlich unangenehm, über die Liebe sprechen zu müssen: "Sind Sie glücklich?", fragt Moderatorin Sandra Maischberger gleich zu Beginn ihrer Sendung. "Glück ist ein relativer Begriff, da würde ich einen Augenblick zögern", antwortet das Orakel nach einigem Nachdenken.

Der Altkanzler erklärt die Welt: Helmut Schmidt bei Sandra Maischberger. (Foto: dpa)

Helmut Schmidt ist nicht nur der Deutschen liebster Altkanzler und Weltendeuter, sondern seit vorvergangener Woche auch offiziell: in Beziehung. Ruth Loah heißt die neue, 78 Jahre junge Lebensgefährtin des 93-jährigen Hanseaten, dessen Frau Loki 2010 nach fast sieben Jahrzehnten Ehe starb.

Die sich aufdrängenden Fragen formuliert Schmidts Lieblingsmoderatorin Maischberger pflichtgemäß einfühlsam, die Antworten fallen knapp bis trocken aus. Eine zähe Angelegenheit.

Immerhin: Dass man seit 1955 im selben Büro gearbeitet habe, erfährt der Zuschauer, dass Schmidt seine Neue "meine Freundin Frau Loah" nennt und es sich um eine "quasi selbstverständliche Entwicklung" handele. Ist die Liebe also auch so ein relativer Begriff? Von wegen: "Wir waren aneinander gewöhnt seit Jahrzehnten", sagt der Altkanzler und lächelt dabei so breit und verschmitzt, wie es einem relativ glücklichen Hanseaten nur gelingen mag.

Schmidt drückt sich ein wenig um das Thema. Erst ganz zum Ende des Gesprächs wird es noch einmal privat. Mit "Frau Loah" will der Altkanzler vorerst nicht zusammenziehen, "es würde die Dinge komplizieren".

Doch weil Helmut Schmidt sich nicht einfach so vom Urlaub am Brahmsee in ein Fernsehstudio begibt, um den Soloauftritt bei "Menschen bei Maischberger" mit Anekdoten über Privatangelegenheiten zu gestalten, geht man schnell zur großen Weltpolitik über. Wie stets dreht es sich um das große Ganze, Europa, den Euro, die Welt, die Finanzmärkte. Das ist in 75 Minuten manchmal lehrreich, manchmal ermüdend, und nicht selten: amüsant.

So kann der Altkanzler politische Akteure ohne große Worte demontieren und wie Politik-Starlets aussehen lassen. Hat Wirtschaftsminister Rösler recht mit der Idee, Griechenland könne bald aus dem Euro austreten? "Nein", sagt Schmidt, lässt eine lange Pause und verkneift sich dann mit einem "Ich habe 'Nein' gesagt" weitere Äußerungen. Und was ist mit ähnlichen Aussagen von Bayerns Finanzminister Söder? "Er scheint ein ganz besonders großer Fachmann zu sein", kommentiert der SPD-Politiker trocken die Expertise des bayerischen CSU-Lautsprechers.

Nicht, dass die Zulassung Griechenlands zum Euro richtig gewesen wäre. "Es war ein Fehler, aber man kann geschehene Geschäfte nicht mehr rückgängig machen." Die Konsequenzen daraus wären aber einfacher zu verkraften, "wenn man das Gefühl hätte, dass es jemanden gibt, der den Überblick hat. Den gibt es derzeit leider nicht." Merkel, Monti, Draghi und Juncker hätten zwar Ahnung, aber so richtig überzeugt scheint Schmidt nicht. "Haben Sie den Überblick?", fragt Maischberger nach. "Nein. Ich bin ein alter Mann", sagt der Weltökonom und zündet sich eine neue Zigarette an.

In langsamen, abgewogenen Sätzen drückt das hanseatische Orakel prägnant aus, was aktuelle Berufspolitiker qua Funktion vernebeln, in taktische Worthülsen pressen oder machtpolitisch motiviert mit Parteibotschaften versehen. Dass es ein Unding ist, dass seit der Krise 2008 keine echte Reform des Finanzwesens stattfand. Dass die europäischen Institutionen in der Krise sind. Dass zu viele Länder zu viele Schulden aufgetürmt haben.

Routiniert wehrt er den indirekten Vorwurf ab, er selbst sei während seiner Kanzlerschaft der Urvater der hohen deutschen Staatsverschuldung gewesen - ohne allerdings genau erklären zu können, was denn nun der Unterschied zwischen seinen Schulden und den heutigen Schulden ist. Auch Fragen zu aktuellen SPD-Standpunkten geht er im Zweifelsfall mit dem Verweis "zu viel Tagespolitik" aus dem Weg.

Vieles ist zwar durchaus bekannt und man hat es bereits öfter von Schmidt gehört, doch die Diagnose des Elder Statesman ist nicht zuletzt deshalb reizvoll, weil sie auf dem Wissensfundus eines langen politischen Lebens in exponierter Position aufbaut und eine gewisse Einheitlichkeit bietet. Es ist zudem die Analyse von einem der letzten lebenden deutschen Spitzenpolitiker, dessen Weltbild von der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs geprägt ist: "Das 20. Jahrhundert hat im Unterbewusstsein der europäischen Völker ein so schweres Gewicht, dass es eine Führung Europas durch die Deutschen ausschließt", prognostiziert der ehemalige Wehrmachts-Offizier.

"Für immer?", fragt Maischberger skeptisch. "Fragen Sie mich dasselbe heute in 50 Jahren noch mal."

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