TV-Kritik: Hart aber fair:Sex hat seinen Reiz

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Zart, aber herzlich - in der ARD verirrt sich Polit-Moderator Frank Plasberg im Feuchtgebiet der Liebe.

Alexander Kissler

Auch diesmal hieß die Sendung Hart, aber fair, doch auf den lautsprecherischen Untertitel verzichtete man lieber. Es wäre auch allzu seltsam gewesen, wenn sich Moderator Frank Plasberg wie üblich in die krawattenlose Pose geworfen und mit festem Blick verkündet hätte: "Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft."

Hilft "serielle Monogamie" oder freier Seitensprung? Moderator Plasberg wusste es so kurz vor Weiberfastnacht auch nicht. (Foto: Foto: dpa)

Politik blieb diesmal beim angeblichen Hard-Talker der ARD außen vor - im Anschluss an die Düsseldorfer Prunksitzung wollte Plasberg ganz ernsthaft fragen: "Wie viel Freiheit braucht die Liebe?"

Leider wurde am Ende der Sendung nicht nur die Politik, sondern auch die Wirklichkeit vermisst. Ein paar echte Jecken hätten der Triebforschung gutgetan. Oder war alles nur ein Missverständnis? Saß die Politik etwa doch am Tisch - in der Gestalt der Körperpolitik, der Geschlechterpolitik, der zwischenmenschlichen Machtpolitik?

Legt die Primatenbrille ab!

Daran konnte man denken, wenn Lisa Ortgies das Wort ergriff. Klug warnte die ehemalige Emma-Chefin davor, den Menschen immer durch die Primatenbrille zu sehen - aus dem zügellosen Treiben der Bonobos lasse sich kein Freifahrtschein für Promiskuität und Machotum ableiten.

Frank Plasberg fror kurz die Stimme ein: Gerade eben hatte eines seiner typischen halb witzelnden, halb ernstgemeinten Einspielfilmchen tatsächlich Bonobos beim Freiluftakt gezeigt. "Führende Verhaltensforscher" sähen da durchaus Parallelen, hieß es.

Die Rolle des Bonobos auf zwei Beinen und mit aufrechtem Gang war im öffentlich-rechtlichen Fernsehen offenbar dem "Verführungstrainer" Maximilian Pütz zugedacht. Der Glatzköpfige warb allerdings mit festgezurrtem Dauerlächeln für einen "Weg der Ehrlichkeit". Am Ende meinte er große Übereinstimmungen entdeckt zu haben mit seinem Antipoden Thomas Enns.

Der Sänger und einstige DSDS-Finalist hatte aus christlichen Gründen bis zur Eheschließung enthaltsam gelebt. Pützens ehrlicher Weg hingegen besteht darin, die jeweilige Hauptpartnerin über ihre Mitbewerberinnen nicht im Unklaren zu lassen. Offen statt hinterrücks praktiziere er, was "jeder" tue, den rein sexuellen Seitensprung.

Treue - und da lächelte er noch stärker - sei eine Sache des Herzens, nicht des Körpers.

Zugutehalten muss man dem bulligen "Coach" mit dem sehr breiten Guildo-Horn-Gedächtnis-Hemdkragen, dass er seinen Abgesang auf das "monogame Konzept" idealtypisch vortrug. Liebe, ein "freies Gefühl", müsse man "in jeder Form frei lassen", kein einziges Säugetier lebe schließlich monogam, Authentizität mache verführerisch, Triebe ließen sich nicht unterdrücken.

Damit war er aber bei Sibylle Nicolai an die Falsche geraten. Mit einem spitzen "Aaah", unterbrochen von den Wörtern "Kraftmeierei" und "Maulhurerei", giftete die Schauspielerin und ehemalige ZDF-Moderatorin in seine Richtung. Sie werde "so erschöpft, wenn ich dem zuhöre". Nicolai berichtete in munteren Worten, wie sie vor sieben Jahren "gedemütigt" wurde. Ihr Mann, erfuhr sie durch einen Anruf, betrog sie mit einer Jüngeren. Die "aushäusige Affäre" wollte der Gemahl aber parallel zur Brot-und-Butter-Ehe mit ihr fortführen. Sibylle Nicolai verweigerte sich - heute ist sie Single und "glücklich".

Wenn Pütz parlierte, atmete sich Nicolai in Rage, ruderte mit den Armen, stützte das Gesicht auf die rechte Hand oder ließ den Kopf zu Moderator Plasberg kreisen. Einen quicklebendigen Brummkreisel der Erregung gab sie ab.

Was Götter ihren Lieblingen geben

Der Meister des raumgreifenden Fuchtelns aber war wieder einmal Hellmuth Karasek. Mit schaufelnden Händen setzte der Autor zu seinem Anekdotenparcours an. Woody Allen habe einmal diesen Witz erzählt, von Billy Wilder wiederum habe er gehört, Sloterdijk sagt und von Goethe stamme doch der Ausspruch, "alles geben die Götter, die unendlichen, ihren Lieblingen gleich", Freude wie Schmerz.

Zwar schrieb Goethe einst "ganz" und nicht "gleich", der Sache nach aber irrte der Feuilletonist nicht. Von Goethe dann auf den Minnesang zu kommen, von dort blitzschnell zur Antibabypille, diese wiederum mit dem alttestamentlichen Erbrecht kurzzuschließen, um sogleich die "sexuelle Umlaufzeit" der Männer und der Frauen anno 2010 zu vergleichen: Das macht Hellmuth Karasek so schnell niemand nach, bis auf Frank Schirrmacher vielleicht.

Was er damit sagen wollte? Dass das Glück nicht wachse, wenn die Liebe frei ausgelebt wird.

So bleibt die Lage also schwierig, aber gemütlich. Einerseits kann gar nicht oft genug betont werden, was aus Gottessohn Thomas Enns herausbrach: "Sex hat ja 'nen Reiz auch irgendwo." Andererseits sind es offenbar für Ortgies und Karasek und Nicolai schrecklich viele Reize, die über den Menschen hereinbrechen und ihn furchtbar verwirren. Da gelte es, sich seiner "Gegenkräfte" (Ortgies) zu besinnen, des freien Willens etwa, um nicht als Bonobo zu enden.

Doppelmoral in der Lustgesellschaft

Oder aber man akzeptiert die "Doppelmoral" in unserer "Lustgesellschaft" (Karasek). Das hieße wohl, sich irgendwie durchzuschlängeln - kein Kind von Traurigkeit zu sein, aber nicht bei jedem Triebabbau gleich mitzumachen. Oder man unterstützt theoretisch die "serielle Monogamie" (Nicolai) und ist praktisch Single.

ARD-Mann Plasberg hat im Wahlkampf mit drei Kollegen im TV-Duell gefragt. Er galt als politischer Journalist, doch spätestens als er in der Rolle des Quizonkels auf Günther Jauchs Spuren wandelte, kamen Zweifel auf. Dieser Karnevalsauftritt - Titel: "Gestern war Treue, morgen ist Weiberfastnacht" - qualifiziert ihn eher für eine Lebensberatungssendung im Dritten. Der Mann, der einst in einer messerscharfen Dramaturgie überheblichen Politikern zugesetzt hat, wirkt irgendwie geläutert.

Routiniert verabschiedete Plasberg die "tolle Runde, die so über ihr Leben gesprochen hat". Nächste Woche macht er Pause. Dann geht es vermutlich weiter mit: "Zart, aber herzlich - wenn gute Laune auf Sendezeit trifft."

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