Noch immer herrscht viel Aufregung um das Gedicht, das die Süddeutsche Zeitung vor mittlerweile fast zwei Wochen von Literaturnobelpreisträger Günter Grass veröffentlicht hat. Nach öffentlichen Beschimpfungen als "Antisemit" und "Trottel" und nachdem Israel ein Einreiseverbot gegen den 84-Jährigen verhängt hat, war es nun an Günther Jauch und seinen Gästen, das Thema noch einmal tüchtig durch den Wortwolf zu drehen.
Nicht dabei, aber Gegenstand der Debatte auch bei Jauch: Schriftsteller Günter Grass.
(Foto: AFP)Zu Gast war nicht, wie angekündigt, Marcel Reich-Ranicki. Der Literaturkritiker hatte das Gedicht in der vergangenen Woche als "ekelhaft" bezeichnet. Für Jauchs Sendung ließ sich der 91-Jährige aber, zuhause in Frankfurt, dabei filmen, wie er einerseits den Antisemitismus-Vorwurf noch einmal bekräftigte ("Den Antisemitismus hat er ganz klar geboten") - und zugleich zurücknahm: "Dafür, dass er immer schon Antisemit war, gibt es keine Spuren. Das ist nicht wahr." Grass habe vielmehr absichtlich einen Skandal hervorgerufen, um von sich reden zu machen. Ihm täte nur leid, dass er das ausgerechnet mit einem "so schlechten Gedicht" geschafft habe.
Als weitere Literaturexperten traten dann leibhaftig in der Sendung auf: Ex-Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) die Grass einst als Wahlkampfhelfer einsetzte ("Mit dem Gedicht hätte er die Aufnahmeprüfung für den diplomatischen Dienst nicht ganz bestanden"), Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) ("Das Gedicht war literarisch nicht notwendig und politisch nicht hilfreich"), Historiker Michael Wolffsohn ("Das Gedicht hätte auch in einer Rechtsradikalenzeitung gedruckt werden können"), Schauspieler Michael Degen ("Das Gedicht ist schwachsinnig und Grass anti-israelisch") - und, als einziger Befürworter, Journalist Jakob Augstein ("Mit seinem Gedicht liegt Günter Grass richtig").
Ein bisschen schwierig dabei: Keiner der Gäste kannte sich wirklich mit der Interpretation von Lyrik aus. Weshalb die Diskutanten - wie auch in der öffentlichen Diskussion oft zu beobachten - fälschlicherweise damit wie mit einer rein politischen Meinungsäußerung verfuhren. Immerhin konnte Jakob Augstein diesbezüglich so viel zur Erhellung beitragen, dass es hierbei zweierlei Ebenen zu beachten gebe: "Das Schreckliche an dem Gedicht ist ja, dass das, was wichtig und wertvoll ist, freigelegt werden muss, und dass das Offensichtliche etwas wirr ist. Eine komische Selbsttherapie, eine Art Vergangenheitsbewältigungsschleife. Für mich geht es aber im Kern um den machtpolitischen Konflikt, den Grass da aufgedeckt hat."
Des Pudels Kern
Damit hat Augstein auf den Punkt gebracht, was eigentlich des Pudels Kern sein sollte: Die werkimmanente Forderung von Günter Grass an die Deutschen, nicht länger die Augen zu verschließen vor einem militärischen Konflikt im Nahen Osten, einer drohenden kriegerischen Auseinandersetzung, an der auch Deutschland, womöglich auch aus einer historischen Schuld, sich zu Unrecht beteiligen könnte. Sei es mit Waffenlieferungen, U-Booten oder anderweitiger Unterstützung der einen Seite, nämlich Israels.
Grass verdrehe da aber Ursache und Wirkung, polterte Dirk Niebel aufgeregt, das sei "das Unerträgliche". Schließlich sei nicht Israel der Aggressor, sondern Iran mit seinem Präsidenten Ahmadinedschad, und überhaupt: "Israel ist die einzige Demokratie in der Region, da haben Demokraten die verdammte Pflicht, zusammenzuhalten, wenn Demokratie gefährdet ist."
Auch Historiker Michael Wolffsohn machte sich deutliche Sorgen: "Es sind Dämme gebrochen." Antisemitische Tendenzen in der Bevölkerung würden durch diese Verse verstärkt. Man solle gegenüber Grass aber nicht mit der Vokabel "antisemitisch" agieren. Ein Künstler dürfe das Recht auf Irrtum haben, selbst auf Spinnerei - aber dann müsse man ihm auch sagen können: "Junge, du spinnst!"