"Tod einer Polizistin" im ZDF:Dieses zentnerschwere Gefühl

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Anwältin Nina Klingen (Theresa Hämer) als Geisel von Frank Keller (Jürgen Vogel) in einer Szene des ZDF-Films "Tod einer Polizistin". (Foto: dpa)

Der brillante TV-Film "Tod einer Polizistin" mit Jürgen Vogel und Götz George, am Abend im ZDF, zeigt ein Duell zwischen zwei Männern, die stärker und härter nicht sein könnten. Über allem schwebt die Frage: Kann Rache gerecht sein?

Von Achim Zons

Es ist nicht leicht, erschossen zu werden. Wenn man von hinten erschossen wird, ist man ein wehrloses Opfer, und der andere ist kaltblütig und feige. In diesem Film aber ist niemand feige, und schon gar nicht ist jemand wehrlos. Keiner ist eindeutig Täter, keiner eindeutig Opfer. Dieser Film zeigt ein Duell zwischen zwei Männern, die stärker und härter nicht sein könnten. Auch hart gegen sich selbst.

Gespielt werden sie von Götz George und Jürgen Vogel. Regisseur Matti Geschonneck hatte schon immer einen Film mit diesen beiden Schauspielgrößen machen wollen. Und jetzt hatte er den Stoff. Der eine will Rache, der andere will Buße - ein archaischer Konflikt.

Götz George ist ein pensionierter Hauptkommissar namens Bruno Theweleit, der die Vergangenheit nicht vergessen kann und der immer damit rechnet, dass sie ihn einholt. Er hat sich mit seinem Dasein abgefunden, das er allein mit seinem Hund in einem kleinen Bungalow am Stadtrand fristet. Jetzt, nach seinem Ausscheiden aus dem praktischen Dienst, gibt er sein Wissen nur noch an der Polizeiakademie preis. Er ist ein guter Lehrer: weiß Gott nicht glücklich, manchmal unausstehlich, häufig ein Kotzbrocken, immer abweisend. Er kennt die Menschen, weiß, dass sie ihm nichts Gutes tun. Es hätte alles so weitergehen können in diesem Leben - wenn da nicht Frank Keller ausgebrochen wäre, dieser Verbrecher, der wegen Mordes an einer jungen Polizistin im Gefängnis saß.

Es ist nicht leicht, erschossen zu werden

Leben ist immer die Summe der Erfahrungen, die man gemacht hat, das ahnt auch Frank Keller. Wie weit er Schuld trägt an seinen miesen Erfahrungen, das wird nur angedeutet. Entscheidend ist, dass er jetzt mit den Folgen zu kämpfen hat. Ein aussichtsloser Kampf, so scheint es. Jürgen Vogel ist dieser Verbrecher, er spielt ihn mit einer Verlorenheit, die einen erschrecken lässt. Er irrt durch die Randgebiete Berlins, hockt an Bahngeleisen, die in ihm die Sehnsucht nach einem besseren Leben wecken, sucht Hilfe bei alten Kumpanen, trifft seine Tochter, die ihn, den Verbrecher, nicht mehr kennen will und die doch schmerzhaft den Verlust des Vaters spürt, sucht Unterschlupf in einsamen, stillgelegten U-Bahnhöfen, lebt ohne Geld, nur angetrieben von seiner Wut.

Man hat Angst vor diesem Mann, alle haben Angst vor ihm. Aber man hat auch zunehmend Angst um ihn. Ein Schwerverbrecher als verlorene Seele? Kann das angehen? Der Film ist deshalb auch ein Film über das Trügerische unserer Wahrnehmung. Böse ist, was gegen das Gesetz verstößt. Gut ist, was das Gesetz vertritt. Jung bedeutet Kraft. Alt bedeutet Erfahrung. Beide, Verbrecher wie Polizist, wissen, was die nächsten Schritte des Gegners sein werden. Aber in dieser Geschichte wissen nur sie es. Deshalb ist ihr Kampf so spannend.

Es ist nicht leicht, erschossen zu werden. Als Schauspieler wird man immer die Version vorziehen, von hinten erschossen zu werden. Da steht die Kamera vor einem. Sie kann erfassen, wie die Kugel im Hintergrund abgefeuert wird. Und vorne kann der Schauspieler zeigen, was die Kugel bei ihm auslöst, die in seinem Rücken einschlägt. Schrecken, Erstaunen, Erleichterung. Das Jenseits kann kommen, vielleicht sogar die Erlösung. Ein dankbarer Moment für jeden Schauspieler. Er kann als Opfer noch einige Schritte taumeln, kann zusammensinken, kann sterben.

In diesem Film (Drehbuch: Magnus Vattrodt nach einer Vorlage von Bernd Lange) aber ist niemand feige oder wehrlos. Schon gar nicht die junge Polizeianwärterin Lena Frey, die nicht nur das sieht, was sichtbar ist, sondern das erfühlt, was nicht stimmen kann bei dieser so eindeutigen Verteilung von Gut und Böse.

Rosalie Thomass spielt diese leicht staunende, aber zunehmend unerschrockener auftretende Polizistin Lena Frey. Sie ist nach Berlin gekommen, um dort auf der Polizeiakademie vom großen Theweleit zu lernen, was man braucht, um ein guter Polizist zu werden. "Ich habe versucht, den großen Respekt vor meinen Kollegen nicht mit Angst zu verwechseln", sagt Rosalie Thomass. Und das gelingt ihr, sie behauptet sich gegen Jürgen Vogel und Götz George.

Von links nach rechts im Bild: Uwe Kockisch, Götz George, Rosalie Thomass und Jürgen Vogel, die Hauptdarsteller im ZDF-Film "Tod einer Polizistin". (Foto: dpa)

Im Grunde geht es in einem Film immer nur um eins: eine Welt zu etablieren, in dem ständig neue Überraschungen passieren. Aber damit eine Überraschung auch wirklich eine ist, müssen Grundregeln festgelegt und Erwartungen aufgebaut werden. Was hier bedeutet: Der Böse ist böse. Deshalb glaubt man zu wissen, wie die Geschichte laufen wird. Frank Keller wird Rache nehmen und dabei drauf gehen. Der Täter ist der Verbrecher, das Opfer ist der Polizist. Doch so einfach ist das nicht, nicht bei Regisseuren wie Matti Geschonneck.

Und weil Tod einer Polizistin die Geschichte einer Abrechnung ist, ist sie auch die einer Jagd. Menschen werden gerichtet, aber nicht vom Gesetz, nicht von der Polizei, nicht von der Justiz. Am Ende nicht einmal von Gott, sondern weil sie es selbst so wollen. Und über allem schwebt die Frage: Kann Rache gerecht sein?

Es ist nicht leicht, dafür zu sorgen, dass jemand erschossen wird, besonders für die Kostümbildner oder die Spezialisten von der Maske. In der Wirklichkeit teilen sich Schuss und Aufprall den selben Bruchteil einer Sekunde. Man könnte in der Realität also nur die Waffe mit dem Mündungsfeuer oder den Aufprall der Kugel zeigen. Das ist für einen Film keine Option. Also dehnt der Film diese Sekunde. Man sieht das Mündungsfeuer, hört den Schuss, sieht den Aufprall des Geschosses und dann, wie das Blut aus dem Körper platzt. Das alles würde man nicht sehen, wenn ein Mensch eine dunkle Jacke an hat - und von hinten erschossen wird. Bleibt also nur die Variante von vorne, so einfach ist das. Die Jacke kann vorne offen sein, der Schauspieler kann ein helleres Hemd tragen, das hellere Hemd kann rot werden, wenn die Kugel den Körper trifft und das Impact mit dem Blutersatz aufplatzt. Wie gesagt, es gibt eine Menge Gründe, warum jemand nicht von hinten erschossen werden sollte.

In den Eingeweiden Berlins

Die Geschichte ist vordergründig die harte, kompromisslos erzählte Suche nach der Wahrheit einer Tat, die 15 Jahre zurückliegt. Und es passt alles: das zurückgenommene, eindringliche Auftreten der Darsteller, die wenigen leisen, heiseren Worte, viele abschätzende Blicke, das Dunkle und Rohe der Stadt. Es liegt schwer auf den Seelen der Menschen. Auf der tieferen Ebene erzählt Tod einer Polizistin davon, was mit Menschen passiert, die mit einer Schuld leben, die sie nie bekämpft haben. Schuld, dieses zentnerschwere Gefühl, lässt sich nicht abtragen wie einen Berg. Man kann sich ihr nur stellen, kann versuchen, Buße zu tun. Das Gefängnis ist eine Form der Buße, oft eine untaugliche. Denn nicht jedem ist diese Form der Buße vergönnt.

Doch was passiert zum Schluss nun tatsächlich in den Eingeweiden Berlins, auf diesem düsteren Gleisbett des stillgelegten U-Bahn-Schachts, da, wo Berlin verloren und vergessen ist? Es fallen drei Schüsse, einer ist zu sehen. Vorne. Auf dem blauen Hemd unter der dunklen Jacke.

Matti Geschonneck hat im vergangenen Jahr mit dem TV-Drama Das Ende einer Nacht den Deutschen Fernsehpreis gewonnen. Es wäre kein Wunder, wenn ihm das in diesem Jahr mit Tod einer Polizistin wieder gelingen würde.s

Tod einer Polizistin , ZDF, 20.15 Uhr.

© SZ vom 14.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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