Streit um Interview:Roland Tichy unterliegt Claudia Roth vor Gericht

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In seinem Blog "Tichys Einblick" spitzt der Publizist häufig zu und schürt Ängste. (Foto: Horst Galuschka/imago)
  • Der frühere Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Roland Tichy, hat am Stuttgarter Landgericht eine Niederlage gegen die Grünen-Politikerin Claudia Roth erlitten.
  • Roth hatte Tichys Portal Tichys Einblick als eine von mehreren "neurechten Plattformen" benannt, "deren Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen" beruhten.
  • Dagegen hatte Tichy eine einstweilige Verfügung beantragt, er warf Roth eine falsche Tatsachenbehauptung vor. Das Gericht widersprach dem nun.

Von Thomas Hummel

Die Publizisten Roland Tichy und Henryk M. Broder haben kürzlich ein Video aufgenommen. Es trägt den Titel "5 vor 12", weil, wie Tichy sagt, "Meinungsfreiheit und Demokratie in Deutschland nun wirklich in Gefahr sind". Es ist ein wiederkehrender Topos in seinem politischen Blog Tichys Einblick, der 64-Jährige sieht sich als Kämpfer für das offene Wort.

Nun hat der frühere Chefredakteur der Wirtschaftswoche am Stuttgarter Landgericht eine Niederlage erlitten - ausgerechnet beim Thema Meinungsfreiheit. Es geht um einen Satz der Grünen-Politikerin Claudia Roth, die in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen zum Thema Bedrohungen und Beleidigungen gegen Politiker gesagt hatte: "Wir müssen die Stichwortgeber benennen, alle diese neurechten Plattformen, deren Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen beruht - von Roland Tichy über Henryk M. Broder bis zu eindeutig rechtsradikalen Blogs."

Dagegen hatte Tichy eine einstweilige Verfügung beantragt, er warf Roth eine falsche Tatsachenbehauptung vor. Das Gericht stellte indessen fest, es handle sich um eine Meinungsäußerung, die so unkonkret gehalten sei, dass ein Wahrheitsbeweis nicht zu erbringen sei. Selbst wenn Roths Äußerung überspitzt sei, müsse sich Tichy diese gefallen lassen. Claudia Roth äußerte sich danach erleichtert gegenüber der Augsburger Allgemeinen: "Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn ausgerechnet diejenigen mit dem Versuch scheitern, eine zulässige Meinungsäußerung gerichtlich verbieten zu lassen, die selbst mehr als einmal in der Kritik standen, die Grenzen des Sagbaren gezielt verschieben zu wollen."

Wie kommt Claudia Roth zu ihrer Einschätzung, was wird auf Tichys Einblick publiziert? Tichy selbst nennt seinen Blog "das liberal-konservative Meinungsmagazin", es soll das konservative Gewissen der Republik sein. Doch selbst ein Konservativer wie Friedrich Merz fühlt sich in Tichys Umgebung offenbar so unwohl, dass er 2018 einen Preis ausschlug, um nicht mit ihm auf einer Bühne zu stehen. Neben einigen Beiträgen, die fruchtbare Denkanstöße liefern, fallen andere Kommentare bei Tichys Einblick mitunter polemisch und herablassend aus oder schüren Angst vor Verschwörungen. Es geht viel um die Parteien links der Mitte, die Medien und Kanzlerin Angela Merkel samt ihrer Regierung.

In einem aktuellen Text, überschrieben mit "Gedanken zu den Morden in Hanau", sagt der Autor Dushan Wegner voraus, dass "Linke und andere ,Demokratiekritiker'" versuchen würden, die Tat dem politischen Gegner anzuhängen. Denn: "Wer der Regierung widerspricht, der ist eben an allem schuld." In einem anderen Text mit dem Titel "Merkels Neues Deutschland" geht es um die Wahl in Thüringen. Tichy schreibt, die FDP wäre aus den Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz geflogen, hätte Parteichef Christian Lindner den von der AfD mitgewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich nicht zum Rücktritt bewogen. Merkel und der Koalitionsausschuss hätten Lindner entsprechend unter Druck gesetzt. Öffentlich angedeutet oder gar bestätigt hat das so bislang niemand. Tichy beruft sich bei seiner Behauptung schwammig auf "alle Quellen".

Als die rechtskonservative Werte-Union in der Kritik stand, weil sie ein Bündnis mit der AfD befürwortete, twitterte Tichy: "Die Säuberung von unerwünschten Elementen in der CDU geht weiter: Jetzt also die Werte-Union. Heil Dir, Kanzlerin! Wir folgen Dir in den Untergang!"

Wer die Kanzlerin so sieht, kann mit der Ur-Grünen Roth kaum einig werden. Auch juristisch dürfte der Streit weitergehen: Es kommt wohl zu einem zweiten Verfahren, denn auch Broder hat gegen Roths Äußerungen geklagt.

© SZ vom 21.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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