Thüringen-Wahl in der Presse:"Das Land steht scheinbar vor der Unregierbarkeit"

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Für die "Thüringer Allgemeine" droht politisches Chaos, die "Leipziger Volkszeitung" prognostiziert Neuwahlen - nur "Die Zeit" findet positive Worte. Ein Blick in die Presse nach der Landtagswahl in Thüringen.

Die Thüringer Allgemeine warnt davor, in politischen Eitelkeiten zu verharren:

"Dieser Abend der Rekorde mag ein Fest für Statistik-Fans gewesen sein. Thüringen aber könnte er ins politische Chaos führen - samt Neuwahl. Die Parteien der Mitte wurden zwischen Linken und AfD aufgerieben. Der Lagerwahlkampf hat sich in Zahlen manifestiert. Das Land steht scheinbar vor der Unregierbarkeit."

Spiegel Online empfiehlt, Konservative und Liberale müssten jetzt die Verantwortung übernehmen:

"CDU und/oder FDP sollten ihrer staatspolitischen Verantwortung gerecht werden - und sich einem Bündnis mit dem Linken-Ministerpräsidenten Ramelow nicht verschließen. Sie sollten erkennen: Der Gegner steht rechts."

Landtagswahl in Thüringen
:Eine Mehrheit gegen CDU, SPD, Grüne und FDP

Über Jahrzehnte haben diese Parteien Deutschland regiert. In Thüringen wird nun - rein rechnerisch - erstmals keine von ihnen für eine Regierung gebraucht. Nur weil eine Koalition aus Linken und AfD ausgeschlossen ist, bewahren sie eine gewisse Macht.

Von Nico Fried

Trotz Ramelows Verdienst für das gute Abschneiden der Linken lautet die bitterste Nachricht des Abends für die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

"... dreißig Jahre nach dem Fall des 'antifaschistischen Schutzwalls', ein Jahr nach 'Chemnitz' und wenige Wochen nach 'Halle' hat sich fast ein Viertel der Wähler in Thüringen hinter einem Landesverband versammelt, der sich an neurechts-völkischer Rhetorik von niemandem übertreffen lassen will."

Optimistischer bewertet Die Zeit den Wahlausgang:

"Aber auch wenn viele jetzt vor allem Schock, Schmerz und Wut empfinden, sollten diese Gefühle etwas nicht verdecken, das am Anfang dieses Jahres nur eine vage Hoffnung war: dass nämlich die große Katastrophe für den Osten abgewendet ist. Dass der Alptraum vorbei ist, in dem die AfD am Ende in Sachsen, Brandenburg oder Thüringen den ersten Platz belegt hätte. Und das, obwohl die Motivation unter den AfD-Wählern angesichts dieser Perspektive wohl so hoch wie nie zuvor war."

Und die Leipziger Volkszeitung rechnet mit Neuwahlen:

"Ramelow ist Wahlsieger mit dem bisher besten Ergebnis für die Linke bundesweit und steckt trotzdem in der Klemme, weil er keine Koalition zusammenkriegt. Mohring ist Wahlverlierer und steckt auch in der Klemme, weil er das bisher schlechteste Ergebnis für seine Partei in Thüringen eingefahren hat. Da sind zwei in der Bredouille, aber Ramelow dürfte den längeren Atem haben. Nach jetzigem Stand gibt es eigentlich nur zwei Optionen: Entweder es rauft sich zusammen, was (bislang) nicht zusammengehört oder es gibt irgendwann Neuwahlen. Letzteres scheint am wahrscheinlichsten."

Auf die beiden früheren Volksparteien konzentriert sich die Stuttgarter Zeitung:

"Die größten Verlierer des Wahlsonntags sind SPD und CDU. Auch in Thüringen gerieten deren Landesverbände in den Abwärtssog, den ihre Parteien auf Bundesebene erzeugen. Die Wähler spüren, dass beide Parteien mit sich selbst nicht im Reinen sind."

In der Rheinpfalz wird die Zersplitterung des Parteiensystems analysiert:

"Waren bislang drei Parteien für eine Mehrheit im Land Thüringen notwendig, so sind es jetzt schon mindestens vier - oder eben bislang noch nie versuchte Bündnisse. Es wird Phantasie und vor allem den Mut der Demokraten erfordern, um eine überzeugende Lösung für Thüringen zu finden. Zeit spielt dabei eine Nebenrolle. Das ist ein großer Vorteil. Bleibt zu hoffen, dass die neuen Machtverhältnisse zu neuen Einsichten führen."

Linke und CDU sollten Gräben überwinden, heißt es im österreichischen Der Standard:

"Der pragmatische Gewerkschafter Ramelow hat das Land zur Zufriedenheit vieler regiert, er verfolgt keine kommunistischen Utopien. 30 Jahre nach dem Mauerfall könnte die CDU zumindest daran denken, diesen Graben zu überwinden. Im Gegenzug darf sich aber auch Ramelow nicht auf die von ihm favorisierte Minderheitsregierung fixieren - nach dem Motto: 'Ich bleibe sowieso im Amt, mir kann keiner was.' Bewegen müssten sich beide Seiten."

Die Schweizer Neue Zürcher Zeitung empfiehlt der CDU, eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung zu tolerieren:

"Wenn die CDU weiterhin so massive Verluste einfährt, wird sie sich den Dünkel gegen die Linkspartei und die AfD ohnehin nicht mehr lange leisten können. Die Aufgabe ihres Prinzips, weder mit den Rechtspopulisten noch mit den SED-Nachfolgern zu koalieren, dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein."

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