Landtagswahl in Thüringen:Eine Mehrheit gegen CDU, SPD, Grüne und FDP

Lesezeit: 3 Min.

  • CDU, SPD, Grüne und FDP haben nach der Landtagswahl in Thüringen keine Sitzmehrheit im Landtag.
  • Nur die Tatsache, dass ein Bündnis aus Linken und AfD politisch unmöglich ist, schützt die Parteien vor dem gemeinsamen Bedeutungsverlust.
  • Unter den Verlierern besonders hart getroffen hat es die Grünen.

Von Nico Fried, Berlin

Der Gewinner gehört allen. Auch wenn Bodo Ramelow in seinem Wahlkampf sichtbare Distanz zu seiner Partei hielt, lassen es sich die Genossen der Bundespartei nicht nehmen, den Wahlsieger von Thüringen als einen der Ihren zu feiern. Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag, strahlt zufrieden in die Kameras. Wann kommt es schon mal vor, dass die Linke als Erste im Fernsehen befragt wird?

Bartsch spricht von einem "sensationellen Ergebnis" und verteilt dann das Verdienst in gebührender Reihenfolge zuerst auf Ramelow und dann die Partei. Der Sieg in Thüringen kommt für die Linken im Bund zur rechten Zeit. Die letzten Wahlergebnisse waren durchweg enttäuschend gewesen, das Führungsvakuum an der Spitze der Bundestagsfraktion ist nach dem angekündigten Rücktritt von Sahra Wagenknecht noch nicht beseitigt.

Thüringen nach der Wahl
:Im Reich der Ungewissheit

Die Ergebnisse zeigen, dass die Bildung einer Koalition in der klassischen Mitte kaum mehr möglich ist. Dieses Thüringen ist nicht nur Bratwurst und Goethe: Das kleine Land in der Mitte Deutschlands hat ein Wutbürgerproblem.

Von Ulrike Nimz

Die AfD wiederum kann sich weiter als wichtige Kraft im Osten des Landes festigen. "Wir haben gemeinsam einen großen Erfolg errungen", sagt Jörg Meuthen, einer der beiden Bundesvorsitzenden. Es seien "gute Zeiten für die AfD". Dass mit Björn Höcke der bekannteste Rechtsaußen der Partei so gut abgeschnitten hat, kann sich noch auf die Machtverhältnisse in der Partei auswirken, wenn die AfD Ende November zu ihrem Parteitag zusammenkommt und eine neue Parteiführung wählt. Meuthen lässt sich da jedoch auf Spekulationen nicht ein.

Für jene Parteien, die in den vergangenen Jahrzehnten in wechselnden Koalitionen im Bund regiert haben, hält Thüringen eine ernüchternde Botschaft bereit: Rein rechnerisch werden sie für eine Regierung nicht mehr gebraucht - zumindest in Thüringen. Es gibt im Erfurter Landtag eine Mehrheit gegen Union, SPD, FDP und Grüne. Nur die Tatsache, dass eine Koalition aus AfD und Linken politisch undenkbar ist, schützt die anderen Parteien vor dem gemeinsamen Bedeutungsverlust.

Am härtesten trifft diese Erkenntnis die CDU. Man hatte zuletzt Hoffnung geschöpft, als zwischendurch einige Umfragen den Thüringer Landesverband in der Nähe der Linken verorteten. Vielleicht würde es ja für Spitzenkandidat Mike Mohring mit SPD, Grünen und FDP sogar zu einer Regierung reichen. Nun muss Reiner Haseloff, der Ministerpräsident aus dem Nachbarland Sachsen-Anhalt, auch für die Bundespartei in Berlin die Schlappe im Fernsehen erklären und warum es für die CDU möglicherweise für gar nichts reicht: hinter der Linken, hinter der AfD - und von einer Regierungsbeteiligung weit entfernt. Haseloff redet erst gar nicht über die CDU allein, sondern spricht von einem Problem für alle Parteien der Mitte. Die Gesellschaft sei polarisiert und gespalten, sagt er über Thüringen, aber er meint offensichtlich auch andere Regionen in Ostdeutschland.

Für die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer mindert das Ergebnis keines der vielen Probleme, mit denen sie ohnehin schon zu kämpfen hat. Im Gegenteil. Ein gutes Jahr ist sie bald im Amt, doch im Osten bewegt sich die CDU im 30. Jahr des Mauerfalls nicht auf sicherem Terrain, sondern in politischem Treibsand. Jetzt könnte die Debatte dazu kommen, ob sie sich auf eine Zusammenarbeit mit der Linken einlassen soll. Generalsekretär Paul Ziemiak versucht sofort, diesen Überlegungen einen Riegel vorzuschieben, und verweist auf entsprechende Beschlüsse. Man dürfe seine Überzeugungen nicht über Bord werfen, "nur um an einer Regierung beteiligt zu sein", sagt Ziemiak, der da auch für die Chefin sprechen dürfte.

Union und SPD dürfte der Streit über die Grundrente Stimmen gekostet haben

Die SPD hatte sich aus Thüringen keinen Rückenwind erhoffen dürfen, und so kam es auch. Die monatelange Selbstbeschäftigung mit der Vorsitzendenfrage mobilisierte erwartungsgemäß keine Wähler - und wie sich in der mäßigen Wahlbeteiligung am Mitgliederentscheid gezeigt hat, nicht einmal die eigenen Leute.

Sie sei "enttäuscht", sagt die kommissarische Vorsitzende Malu Dreyer. Union und SPD dürften auch dafür bestraft worden sein, dass sie ihren Streit über die Grundrente nicht beigelegt haben. Für die SPD ist das ein Kernanliegen, umso schwerer wiegt es in der potenziellen Wählerschaft, wenn sie es nicht durchsetzen kann. Aber auch CDU-Kandidat Mike Mohring forderte seit Monaten eine Einigung, weil viele Berufsbiografien im Osten davon betroffen seien. Vor allem in der CSU biss der Thüringer mit diesem Ansinnen auf Granit.

Unter den Verlierern besonders hart getroffen hat es die Grünen. Dass sogar der Einzug in den Landtag wackeln könnte, hatte niemand für möglich gehalten. Für Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, ist das Ergebnis ein persönliches Desaster. Dass sie mittlerweile seit Jahrzehnten in Spitzenpositionen der Bundespolitik präsent ist, hat zumindest bei dieser Wahl in ihrem Heimatbundesland Thüringen nichts bewirkt. Sichtlich geschockt sagt sie, es sei den Grünen nicht gelungen, die Regierungsarbeit in Erfurt und auch die eigenen Themen wie den Klimaschutz in den Vordergrund zu stellen. Parteichef Robert Habeck sagt, die Grünen hätten es im Osten besonders schwer, weil sie eine Partei des Wandels seien. Die Menschen im Osten hätten aber in den vergangenen 30 Jahren schon viel Wandel erlebt, der oft auch mit Enttäuschungen verbunden gewesen sei.

Und die FDP? Als sich ihr Einzug in den Landtag abzeichnete, wirkte Parteichef Christian Lindner erleichtert. Als viertes Rad am Wagen von Rot-Rot-Grün aber sieht er die Liberalen nicht.

© SZ vom 28.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungKomplizierte Regierungsbildung in Thüringen
:Zeit für uneingeübte Modelle

Kommentar von Detlef Esslinger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: