Etwas aus der Zeit gefallen wirkt lineares Radio manchmal schon: Unliebsame Songs lassen sich nicht überspringen, interessante Redebeiträge können nicht direkt angesteuert werden. Beim Südwestrundfunk haben sie sich darum etwas einfallen lassen: Zwei neue Apps, die des Radiosenders SWR3 und die des Jugendradios Dasding, sollen mehr Flexibilität ermöglichen. Als "Radio der Zukunft" bezeichnet der SWR selbst die seit vergangener Woche verfügbaren Funktionen, SWR3-Chef Thomas Jung spricht von einer "Pionierarbeit in der deutschen Radiolandschaft". Was sind das für Neuerungen?
Der Test zeigt, dass die Apps vor allem mehr Kontrolle über das Liveradio bieten: Bis zu vier Stunden lässt sich das Programm auf einer am rechten Bildschirmrand eingeblendeten Timeline zurück- und dann auch wieder vorspulen. Praktisch, wenn man nach dem Einschalten den Anfang einer Moderation verpasst hat. Auch können Songs genau wie Beiträge in einer eigenen Playlist gesammelt und dann jederzeit wieder angehört werden. Das alles funktioniert relativ intuitiv und selbsterklärend.
Das wohl prägendste Feature: Gefällt ein Lied nicht, kann es per Shuffle ausgetauscht werden. Laut SWR3-Chef Jung merkt sich dann ein Algorithmus, welche Musikrichtung beim Nutzer gut ankommt. Ein bestimmter Song aus dem SWR3-Musikpool mit mehr als 1300 Titeln lässt sich aber nicht selbst aussuchen - was gespielt wird, entscheidet der Algorithmus.
Um die Neuerungen zu entwickeln, waren laut Jung lange Verhandlungen mit unabhängigen Musiklabels und der Musikrechtegesellschaft Gema über die neuen Funktionen - nötig: "Die Nutzung von Musik im digitalen Bereich ist in Deutschland für Radios völlig ungeklärt", sagt der SWR3-Chef. Verhandelt wurden die Nutzungsrechte in Abstimmung mit der ARD, um ähnliche Abschlüsse auch für andere Landesrundfunkanstalten zu ermöglichen. Weitere Sender waren laut Gema nicht beteiligt.
Doch ist die Funktion wirklich so neu? Immerhin gibt es Formate wie Daily Drive auf Spotify, eine Playlist aus Kurznachrichten und auf den Nutzer zugeschnittenen Songs. Dass die SWR3-App damit vergleichbar wäre, streitet Jung vehement ab. Daily Drive sei ein "vorgesetzter Brei", da gebe es keine Moderation, keine Interaktivität, das habe nichts mit Radio zu tun.
Mit den neuen Funktionen will man sich aber beim SWR3 nicht vom linearen Radio abwenden. Ein kuratiertes Programm sei immer noch eines der entscheidenden Alleinstellungsmerkmale des linearen Radios - gerade in einer "digitalen Überfluss-Welt", wie Jung sie nennt. Was sich derzeit besonders verändere: wie lange Menschen Radio hören, ohne zu anderen Audio-Konkurrenten wie Spotify zu wechseln. "Damit werden wir zu kämpfen haben. Nicht aber damit, dass lineares Radio stirbt."