Streaming:Die Fakten und die Toten

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Wohin führt der Weg von Flug 716 in Departure? (Foto: Universal TV)

"Departure" schlägt einen neuen Weg ein: Die kanadisch-britische Serie versucht, einen Flugzeugabsturz kriminologisch zu klären.

Von Annett Scheffel

Eine weitere Serie über einen Flugzeugabsturz. Da ist man natürlich zunächst hin- und hergerissen. Zwischen der Urangst des fliegenden Menschen auf der einen Seite: der Angst vor Höhe, vor dem Abstürzen, vor Kontrollverlust und der engen, stickigen Kabine, die sich wie alle Ängste unserer modernen Welt bestens als Stoffe für neue Geschichten anbieten. Und dem leicht gelangweilten Zynismus des Serien guckenden Menschen auf der anderen Seite: Warum verschwinden in Serien eigentlich so absurd viele Passagiermaschinen unter mysteriösen Umständen?

Genau das passiert auch in "Departure", der neuen kanadisch-britischen Miniserie von Vincent Shiao. Ein Flugzeug hebt am JFK Airport ab, Transatlantikflug 716 nach London, 256 Menschen an Bord. Der Zuschauer begleitet Madelyn, eine Passagierin, die kurz vor dem Start noch mit ihrem Verlobten telefoniert und später als einzige Überlebende in einem Rettungsfloß gefunden werden wird. Denn mitten über dem Nordatlantik ist Flug 716 vom Radar verschwunden. Untersucht werden soll der Fall von der seit Kurzem verwitweten Luftfahrtexpertin Kendra Malley, gespielt von Archie Panjabi. Unter dem Druck der Öffentlichkeit und den Argusaugen ihres Chefs und Mentors Howard Lawson (Christopher Plummer) beginnt die Suche nach der Ursache des Absturzes.

Kundige Serienzuschauer werden sich an dieser Stelle zwangläufig an Lost oder Manifest erinnert fühlen: beides Serien, bei denen das Verschwinden eines Flugzeugs als Ausgangspunkt für Mystery-Plots diente. Aber Departure funktioniert anders: Erzählt wird die Geschichte von Flug 716 als klassischer Krimi.

Die zahlreichen Motive und Spuren weisen bald in viele Richtungen: War es technisches Versagen, die Schuld eines suizidalen Piloten, Börsenkalkül, ein Terroranschlag? Zwar wirken die Dialoge immer mal wieder künstlich überspannt, als wolle man der Nüchternheit des Fachjargons ein wenig mehr Glanz verleihen, im Grunde ist Departure aber eine Serie über ein Ermittlerteam auf der Suche nach Fakten: In sechs Episoden wühlen sich Kendra Malley und ihre Luftfahrtexperten durch Überwachungsvideos, Anruflisten und Satellitendaten. Zwischenzeitlich wird es sogar so nerdig, dass bei der Berechnung des möglichen Absturzortes der relative Doppler-Effekt angewendet wird.

Als Grundanordnung fürs Unterhaltungsfernsehen ist die unerwartet faktenbasierte Arbeit der Ermittler eigentlich spannend. Dass Departure diese Stärke aber nie so recht ausspielen kann, liegt sicherlich vor allem an dem allzu oberflächlichen Umgang mit den Charakteren: Oscargewinner Christopher Plummer bekommt so wenig Screentime, dass seine Rolle zwischen Karrierist und Vaterfigur unscharf bleibt. Die Bedeutsamkeit von Nebenfiguren wie dem Verlobten der einzigen Überlebenden oder Malleys Stiefsohn sind hölzern und viel zu vorhersehbar ins Drehbuch eingearbeitet.

Und auch Archie Panjabi, die in "The Good Wife" als Julianna Margulies' so manipulativer wie homoerotisch aufgeladener Sidekick glänzte, bleibt als smarte Expertin seltsam eindimensional: Vor allem weil die Serie ihren Schmerz über den Unfalltod ihres Mannes immer nur anteasert, um sich dann schnell wieder aufs Flugzeugunglück zu konzentrieren. Das ist gut für die fiktiven Ermittlungen. Aber schlecht für die Psychologie einer Serie - zumal einer, die etwas über Ängste erzählen will.

Departure , auf Sky Ticket* und Sky Go*

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© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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