"Spiegel"-Autor Matthias Matussek:Sturmgeschütz Gottes

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Matthias Matussek attackiert den "Spiegel" im Kölner Domradio als "antikirchliches Kampfblatt". In Hamburg ist die Aufregung groß: Darf ein "Spiegel"-Mann dem eigenen Blatt indirekt "Kampagnenjournalismus" vorwerfen?

Hans Leyendecker und Katharina Riehl

Es ist in den vergangenen Jahrzehnten häufig passiert, dass strenge Katholiken dem Spiegel vorwarfen, zu kritisch gegenüber ihrer Kirche zu sein. Aber es war schon ziemlich harter Tobak, was vor einigen Tagen ein wahrhafter Bekenner dem Hamburger Magazin im Domradio des Bistums Köln vorhielt: "Der Spiegel ist ein antikirchliches Kampfblatt, das kann man schon so sagen", erklärte der Interviewte.

Bezeichnete in einem Interview das eigene Medium als "antikirchliches Kampfblatt": Spiegel-Autor Matthias Matussek. (Foto: dpa)

So wisse er beispielsweise, dass der stellvertretende Chefredakteur des Blattes (Martin Doerry) eine tolle Besprechung eines freundlichen Papst-Buches so kommentiert habe: "Wir haben dreizehn Leute an der Front, die versuchen dem Papst Verwicklungen in den Missbrauchsskandal nachzuweisen", habe ihm der stellvertretende Chef angeblich gesagt. Da könne doch nicht einer kommen, und den "Papst freisprechen". Er halte, sagte der Interviewte dem Domradio, ein solches Verständnis von Journalismus für "Kampagnenjournalismus" und der sei "äußerst primitiv und blöde". Aber es gebe "natürlich auch andere Leute beim Spiegel, die klüger sind und so etwas nicht mitmachen".

Das Besondere an dem Interview war nicht die Attacke selbst, sondern der Umstand, dass der Interviewte Matthias Matussek heißt. Er ist Spiegel-Autor, war jahrelang Chef des Feuilletons und hat sich in der Branche als Schwimmer gegen den Mainstream einen Namen gemacht. Unvergessen ist auch, dass er einst im Blatt dem unter Druck geratenen FDP-Politiker Jürgen Möllemann beistand.

Knapp 25 Millionen Mitglieder hat die römisch-katholische Kirche in Deutschland und wer Zeitungen liest oder den Talkshowbewohnern bei ihren Disputen zuschaut, könnte den Eindruck bekommen, dass der Mann vom Spiegel das letzte Sturmgeschütz Gottes im Land der Heiden ist. Matussek wirkt omnipräsent; manchmal könnte man glauben, er habe die Gabe, die früher nur dem seligen Pater Pio zugeschrieben wurde: Er soll gleichzeitig an mehreren Orten gepredigt haben.

"Ich bin katholisch und das ist auch gut so", schreibt Matussek in seinem Buch Das katholische Abenteuer. Eine Provokation. Das Werk versinkt fast im Weihrauch. Der Spiegel und die Kirche - das ist wahrhaftig ein altes Thema. Der Gründer Rudolf Augstein hat sich fast ein Leben lang kritisch mit der katholischen Kirche beschäftigt und sein Buch Jesus Christus Menschensohn war das epochale Werk eines katholischen Laien. Die historische Wahrheit und die Wahrheit des Glaubens - das interessierte ihn wirklich. So schrieb Augstein 1999, drei Jahre vor seinem Tod, über die "scheinheiligen Legenden im Heiligen Jahr": "Es war und ist das Geschäft der Religion, Gott und den Menschen gegeneinander auszuspielen. Niemand verstand und versteht es so wie die christlichen Kirchen, den Menschen mit Schuldgefühlen unter Spannung zu bringen". Insbesondere hat Augstein das Wirken der Päpste kritisch betrachtet. Die Kirche sei der Ort, an dem die Irrtümer der jeweils voran gegangenen Theologengeneration berichtigt würden. Aber gern glauben wollte er manchmal trotzdem.

Allerdings war Augstein vom Ministranten-Glauben Matusseks, der auch noch gegen die Küngs und Geißlers zu Felde zieht, ein großes Stück entfernt. Matussek ist Katholik und bewegt sich wie ein Konvertit. Aber glauben, anders glauben oder gar nicht glauben - das ist nur die eine Frage.

Die andere lautet: Darf ein Spiegel-Mann das eigene Blatt als "antikirchliches Kampfblatt" bezeichnen und dem stellvertretenden Chefredakteur indirekt vorwerfen, Kampagnenjournalismus zu wollen? Die Aufregung in Hamburg ist gewaltig und dabei geht es auch um Grundsätzliches. Auch weil in den Talkshows immer häufiger Spiegel-Leute sitzen, deren Meinung, wie im Fall Matussek, von der da draußen erwarteten Blatt-Linie abweicht, war der Dienstag beim Blatt ein Matussek-Tag: "Der Spiegel ist ein liberales Blatt, in dem unterschiedliche Meinungen und Positionen erwünscht sind", kommentierte Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo den Vorgang. Deshalb sei Matusseks Buch "auch im Spiegel-Buchverlag erschienen. Die meisten Autoren hier im Spiegel danken diese Toleranz mit Loyalität". Das erwarte er auch von Matussek.

Der angegriffene stellvertretende Chefredakteur Doerry bitte "um Verständnis", dass er sich "zu redaktionsintern geführten Gesprächen öffentlich nicht äußern möchte". Matussek erklärte auf Anfrage, er sei "glücklich beim Spiegel", der "geradezu Geburtshelfer" für sein Buch gewesen sei. Laut einer Domradio-Sprecherin habe er den Sender am Dienstag darauf hingewiesen, dass er das Radio-Interview nicht autorisiert habe. Dazu wollte sich Mattusek auf SZ-Anfrage nicht erklären.

© SZ vom 15.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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