Shows im Fernsehen:Im Fernsehen wird so viel gespielt wie nie zuvor

Lesezeit: 4 min

Auch Mareile Höppner und Kai Pflaume quizzren, als wäre es gestern gewesen. (Foto: Jörg Carstensen / picture alliance / dpa)

Als vor zwei Jahren "Wetten, dass ..?" eingestellt wurde, galt das als das Ende der deutschen Fernsehshow. Von wegen!

Von Ralf Wiegand

Ach ja, die gute, alte Zeit. "Wie ein Familienfest" sei es jedes Mal, wenn sie bei Verstehen Sie Spaß? eingeladen sei, seufzte Paola Felix vergangenen Samstag und schwärmte dann, minutenlang, von früher. Kurt Felix, ihr verstorbener Gatte, hat die Verlade-Sendung vor 36 Jahren erfunden, zunächst fürs Schweizer Fernsehen, da hieß sie noch Teleboy, und später in der bundesdeutschen Variante, seit vergangener Woche wird die deutsche Produktion auch in der Schweiz ausgestrahlt. Fast könnte man glauben, es sei wirklich wie früher: Halb Europa sitzt am Samstag Abend vor dem Fernseher und schaut dieselbe große Familienshow.

Nur: Wie kann das sein? Ist das Eine-Show-für-alle-Prinzip nicht schon vor Jahren beerdigt worden, per Staatsbegräbnis sogar nach dem zutiefst betrauerten Ableben von Wetten dass ..? im ZDF vor ziemlich genau zwei Jahren?

01:01

Böhmermann macht Wetten, dass ..?
:Gockeln wie einst Gottschalk

Jan Böhmermann holt "Wetten, dass ..?" zurück. Und wie früher stellt sich bald eine Mischung aus Wehmut und Erleichterung ein.

TV-Kritik von Carolin Gasteiger

Mit dem Showsterben ist es in etwa so wie mit dem Waldsterben: Im Grunde dürfte da draußen kein einziger Baum mehr stehen. Eine ganze Generation ist mit der Gewissheit aufgewachsen, saurer Regen werde ihr in naher Zukunft ein Leben in der Steppe einbrocken. Über die Fernsehshow kam der saure Regen in Person eines gewissen Markus Lanz. Der Mann, dessen Talk im ZDF derzeit erfolgreicher ist als jemals zuvor, steht in den Annalen als Totengräber von Wetten dass . . ?. Auch ein bisschen schuld, so war 2014 stets zu hören, seien ein gewisser Zeitgeist und das Internet. "Verändertes Sehverhalten" hieß die Diagnose, das Ende des Lagerfeuer-Fernsehens und der Familiensendung für Oma, Papa und die Kinder.

Und heute? Heute ist das Fernsehen ein Spiel ohne Grenzen - auf los geht's los, nur einer wird gewinnen. Die Sender sind spielsüchtig geworden. An diesem Samstag kürt das ZDF mal wieder den Quiz-Champion, in einer großen Rateshow mit Johannes B. Kerner. Zweieinhalb Stunden zwischen 20.15 Uhr und Heute Journal, wie übrigens schon am vergangenen Donnerstag. Im Ersten lief in den vergangenen Wochen gleich mehrmals zur Primetime Hirschhausens Quiz des Menschen. Die Spiele-Sprechstunde mit dem TV-Arzt Eckart von Hirschhausen, in der Prominente schon mal gegen Stützstrümpfe kämpfen, ist mit Vor- und Endrunden ausgewalzt wie ein Plätzchenteig.

Im ZDF durfte der Wissenschafts-Experte Dirk Steffens seine Experimente-Spielshow Mich täuscht keiner auch gleich zweimal hintereinander moderieren. Jörg Pilawa präsentiert am 12. November (wie schon am 1. Oktober) Spiel für Dein Land, jeweils drei Stunden aus dem TV-Thermomix für die Zutaten Raten und Spielen. Und bei RTL lief im vergangenen Sommer gleich an fünf Abenden innerhalb von vier Wochen Ninja Warriors Germany, eine Sportshow, bei der es einen Hindernis-Parcours zu bewältigen gilt. Mehr als 200 Kandidaten hangelten sich durch die immer gleiche Halle - ein Kinder-Tobeparadies für Erwachsene in Endlosschleife.

Es ist wie im Märchen vom süßen Brei. Die Unterhalter scheinen einen Zaubertopf gefunden zu haben, der auf das Kommando "Töpfchen, koch!" unaufhörlich die gleiche Pampe produziert. Der Befehl, mit dem der Bottich zum Aufhören zu bewegen wäre, ist verloren gegangen.

TV-Trend
:Retro-Spielshows sind der reine Eskapismus

Glücksrad, Jeopardy, Herzblatt und Co.: Wie die Privatsender mit Alles-egal-Moderatoren und Einheitskulisse günstiges Programm machen.

TV-Kritik von Hans Hoff

Die Sendungen mit Quiz, Wissen und Streichen wollen alle sehr unterschiedlich sein, und sehen doch exakt gleich aus: Das Show-Business kennt den hübschen Begriff des Shiny-Floor-Formats - glatte Shows auf spiegelnden Böden. Das Prinzip größtmöglicher Verwechselbarkeit.

Erstaunlich daran ist, dass die Branche das Problem längst erkannt hat, aber immer weiter macht. Einmal im Jahr treffen sich die U-Experten der Fernsehwelt in Köln zum großen "Show-Gipfel", einer Messe für Spaß-Fernsehen. Den Gipfel des vergangenen Jahres beschrieb die FAZ als "langen Abgesang" auf die "Trostlosigkeit des Unterhaltungsfernsehens". Der ehemalige ZDF-Unterhaltungs-Chef Oliver Fuchs, einst über eine Affäre mit gefälschten Rankings in Unterhaltungsshows aus dem Job gestolpert, empfahl dort sogar, die Shows aus der Primetime zu nehmen und Platz für Fiktionales zu schaffen. Und die Fernsehwissenschaftlerin Klaudia Wick stellte schonungslos fest: Das deutsche Show-Fernsehen "ist am Ende einer Sackgasse angekommen".

Seitdem rennt dieses Show-Fernsehen offenbar mit dem Kopf gegen die Wand. In wenigen Tagen steigt in Köln der zwölfte Show-Gipfel, und die Vorschau klingt schon kaum optimistischer als der Nachklapp auf die vergangene Ausgabe. Wieder geht es um die Frage, warum der Ruf des Unterhaltungsfernsehens so schlecht ist. "Gerade im deutschen Diskurs", heißt es im Programm, stehe die Unterhaltung "im Vergleich zu Genres wie Serien oder anderen fiktionalen Formen weit hintenan." Die Antwort könnte schon in der Überschrift fürs Schluss-Podium der Konferenz stecken: "Zurück in die Zukunft? Wie geht Entertainment 2020?"

Zu befürchten ist: So wie immer - nur, dass die Sender mit weitaus geringerer Quote zufrieden sind, weil sie ihre Shows auch mit viel weniger Aufwand produzieren. Längst sitzen auch bei Verstehen Sie Spaß? natürlich nicht mehr 21 Millionen Menschen vorm Fernseher wie in den 1980er-Jahren, sondern in Deutschland zuletzt gut fünf Millionen. Mehr als 18 Prozent Marktanteil gelten am Samstagabend allerdings schon als großer Erfolg, zumal die Sketche-Sendung nicht mehr aufwendig als tourende Hallenshow produziert wird, sondern aus einem festen Studio bei der Münchner Bavaria kommt. Kostenersparnis für den produzierenden SWR: angeblich 1,5 Millionen Euro. Schadenfreude, Ratespiele, Wettkampf - es ist, als würde man sein Geld noch in einen Bausparvertrag stecken. Bringt kaum Rendite, ist aber so schön vorhersehbar.

Der Event-Charakter, den ein Branchenkenner wie TV-Legende Frank Elstner bei Shows für so unerlässlich wie für immer noch möglich hält, geht dabei natürlich flöten. "Es bräuchte nur eine geniale Idee im Fernsehen, dann käme die Show wieder groß heraus", analysierte er im April für die Goldene Kamera, allerdings hätten sich die großen Sender "an den Erfolg gewöhnt". Heißt: Was eine sichere Quote bringt, wird tot gesendet, höhere Quoten werden für unmöglich erklärt. Verändertes Sehverhalten und so.

Um dieser Art des Fernsehens etwas abzugewinnen, muss man schon eine ganze Menge Spaß verstehen. Showformate und -gesichter sind austauschbar, wer weiß schon noch, in welchem Sender und bei welchem Moderator er zu Gast ist? Zu ähnlich sind sich Kulissen, Inhalte, Gäste. Im Ersten lässt Kai Pflaume Erwachsene gegen Kinder spielen, seine Sendung heißt Klein gegen Groß. Sie hat die Zielgruppe "alle", wie Hirschhausens Frag doch mal die Maus oder wie im ZDF Das Spiel beginnt, wegmoderiert von Heimkehrer Johannes B. Kerner. Hier spielen Kinder und Prominente stundenlang Gesellschaftsspiele, in der letzten Sendung im September etwa Gobblet-Mampfer, Murmelmikado und Spiral-Billard. Stadt, Land, Fluss, Memory und Spitz pass auf hat man auch schon durch.

Die Gedächtnis-Show Deutschlands Superhirn hat der neue ZDF-Quotenkiller Steven Gätjen von Jörg Pilawa übernommen, der einstige ZDF-Klassiker Dalli, Dalli ist als Das ist Spitze in die ARD und zu Kai Pflaume gewechselt. Töpfchen, koch!

In all dem Einheitsbrei kann sich der SWR schon fast freuen, dass Moderator Guido Cantz gerade ein bisschen zu tief ins Schminktöpfchen gegriffen und sich als Schwarzer verkleidet hat. Das verpönte Blackfacing fabrizierte einen Shit-Storm und wenigstens ein bisschen Huhu für die biedere Sendung. Ansonsten probte Karnevalist Cantz offenbar Witze für seine Büttenreden: "Mirja DuMont hat ihr Sky-Abo gekündigt", so etwas. Paola Felix aber brachte ein paar uralte Filmausschnitte mit und seufzte selig: "Als wäre es gestern gewesen."

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: