"The Nevers" auf Sky:Ein Funken, aber kein Feuer

Lesezeit: 3 min

Die neue Serie "The Nevers" über Frauen mit Superkräften im viktorianischen London hätte ein feministisches Fest werden können.

Von Kathleen Hildebrand

"Der Angriff kam über unsere Frauen", sagt der erzkonservative Lord Massen in seinem viktorianischen Gentlemen's Club am Anfang der Serie. Er meint damit die Bedrohung, die er in dem sieht, was die Grundlage der Geschichte von The Nevers ist: Seit einem kosmischen Ereignis am Himmel von London drei Jahre zuvor haben Hunderte, vielleicht Tausende Frauen und einzelne Männer übernatürliche Fähigkeiten. Das Problem der ganz offensichtlich sehr teuer produzierten Serie ist aber, dass sie aus dieser Prämisse, die natürlich sofort interessante feministische Rachefantasien aufglimmen lässt, nur ein großes, vages Chaos macht.

Mit den Gaben der "Berührten" fängt es schon mal an: Eine junge Frau kann Gegenstände in Glas verwandeln, eine spricht einen wilden Mix aus allen Sprachen der Welt und ein zehnjähriges Mädchen ist drei Meter groß. Die Hauptfigur, Amalia True, sieht ultrakurze Teaser-Vorschauen auf die Zukunft und kann, völlig unerklärlich, außerdem kämpfen wie ein Ninja. Was ihre Fähigkeiten für alltägliche Folgen haben, interessiert die Serie derweil wenig. Das Riesenmädchen etwa scheint einfach in eine Kutsche für Normalgroße steigen zu können, und entfaltet sich dann praktischerweise erst im Treppenhaus wieder zu voller Größe.

Wie es sich für Erzählungen von Superbegabten gehört, hat sich ein gutes Dutzend dieser Frauen und Mädchen in einem, ja klar, Waisenhaus versammelt. Amalia gibt auf sie acht und rekrutiert weitere "Berührte", auf die es auch andere abgesehen haben. Sie scheint etwas mit ihren Schützlingen vorzuhaben, aber die große weibliche Weltrevolution scheint es nicht zu sein. Wenn sie gerade nicht schwer verwundet ist, an ihrem Schreibtisch seufzt oder die Verfolger der Supergirls vermöbelt, spricht sie gelegentlich von einer "besseren Welt", aber die scheint nicht nur vage, sondern auch denkbar fern.

Denn auf der anderen Seite steht das Establishment. Das da wäre: Der böse Lord. Eine reiche Erbin mit unklaren Motiven. Ein frankensteinig irrer Arzt, der Experimente an den Berührten macht. Der brutale Anführer einer noch unklarer definierten Straßengang und, unfreiwillig der einzige Lichtblick in dieser düsteren Welt: der libidinöse Adlige Swan, gespielt vom hypercharmanten James Norton, der es immerhin schafft, in seinem geheimen Oberschichtssexklub hin und wieder ein bisschen Spaß zu haben. Swan ist offenbar auch irgendwie ein Finsterling, aber man versteht nicht ganz, warum, weil seine Aktivitäten die einzigen sind, die The Nevers mit Leichtigkeit und funktionierendem Humor zeigt. Sollte diese Serie wissen, wohin sie mit ihrer Geschichte will, macht sie es der Zuschauerin auf enervierende Weise schwer, diese Richtung zu erkennen.

Das Traurige daran ist, dass es ja nicht nur für superfähige Außenseiter schon so viele erzählerische Vorbilder gibt ( X-Men, The Avengers, Die Insel der besonderen Kinder, The Umbrella Academy etc.), sondern mittlerweile auch für die Folgen, die eine plötzliche Umkehr der Machtverhältnisse haben kann. In ihrem Science-Fiction-Roman "Die Gabe" hat Naomi Alderman 2016 beeindruckend klar geschildert, wie auch ein Matriarchat, wenn es auf Gewalt basiert, keine bessere Lösung ist. Und Quentin Tarantino macht seit vielen Jahren wenig anderes, als Minderheiten extrem unterhaltsam Rache an ihren Unterdrückern nehmen zu lassen. Nichts davon bei The Nevers. Die Fähigkeiten der Frauen gefährden sie nur noch mehr, schließen sie noch weiter aus der Gesellschaft aus. Das könnte ebenfalls eine interessante Perspektive sein, aber auch auf die lässt sich die Serie nicht länger als eine Szene lang ein. Dann springt sie weiter, zum nächsten ihrer viel zu vielen Themen.

The Nevers wird nicht mit von Brillanz geblähten Segeln an den Vorwürfen vorbeifahren können, mit denen Joss Whedon, der Schöpfer der Serie, gerade konfrontiert ist. Whedon wurde in den Neunzigern mit der Teenager-Serie Buffy - Im Bann der Dämonen berühmt und hat zuletzt einige große Comic-Superhelden-Filme gedreht. Seit vergangenem Jahr berichten aber Schauspieler, die mit ihm gearbeitet haben, dass er ein Tyrann hinter der Kamera sei, Whedon erzeuge ein schreckliches Arbeitsklima, beleidige und diskriminiere seine Mitarbeiter, auch von Misogynie ist die Rede. Er gab die Leitung der Produktion mitten in den Dreharbeiten zur ersten Staffel ab, offiziell aus persönlichen Gründen, er sei überlastet. Die neue Showrunnerin ist Philippa Goslett. Vielleicht kommt die Revolution also noch. Aber nicht vor Folge sechs.

The Nevers, wöchentlich eine neue Folge bei Sky.

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