Schauspielerin Sibel Kekilli:In der Mitte angekommen

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In Game of Thrones ist sie Kurtisane und schöne Kriegerin zugleich: Sibel Kekilli. (Foto: HBO)

Sibel Kekilli hat zwei sehr beeindruckende Kinodramen gedreht. Doch mit der deutschen Filmrealität wollte sie sich nie abfinden. Dann kam HBO und engagierte sie für "Game of Thrones". Eine Begegnung.

Von Katharina Riehl

Es war im Sommer 2002, als der Regisseur Fatih Akin die Schauspielerin Sibel Kekilli erfand. Als er der 22-jährigen gelernten Verwaltungsfachangestellten aus Heilbronn die Hauptrolle in seinem Film Gegen die Wand gab. Sibel Kekilli, Tochter türkischer Eltern, spielte darin eine Tochter türkischer Eltern, die einen heruntergekommenen Typen heiratet, um ihrer Familie zu entfliehen. Als erster deutscher Film seit 18 Jahren gewann er den Goldenen Bären, Kekilli bekam dann noch den Deutschen Filmpreis. Heute sagt sie, als man sie damals auf der Straße angesprochen hatte, habe sie nicht einmal genau gewusst, was ein Casting überhaupt ist.

Man kann nichts erklären von der Karriere der Sibel Kekilli ohne den Film Gegen die Wand, das ist bis heute so, auch in diesem schicken Hamburger Hotelzimmer, in dem sie auf ein Sofa vor einer Werbeaufstellwand platziert wurde. Anfang dieser Woche startete in den USA und beim deutschen Bezahlsender Sky die vierte Staffel der Serie Game of Thrones, des großartigen Kostüm- und Schlachtenepos, bei HBO brachen am Montag wegen des Ansturms glatt die Server zusammen. Es ist eine Geschichte von Krieg, Intrige und Liebe aus einer fremden Welt, die irgendwie nach Mittelalter aussieht. Sibel Kekilli spielt die Kurtisane Shae, die Geliebte des lasterhaften Zwergs Tyrion Lannister; keine ganz riesige Rolle, aber auch keine unbedeutende.

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Sibel Kekilli also sitzt auf jenem Hotelsofa, sehr schmal, sehr dunkel gekleidet, sehr zarter Händedruck, sehr freundlich. Und wenn man sie fragt, wie sie als deutsche Schauspielerin in eine HBO-Serie kam, wo fast jeder amerikanische Schauspieler auch gerne hinmöchte, dann muss sie mal wieder von Gegen die Wand erzählen. Die Produzenten von Game of Thrones luden sie 2010 zu einem Casting ein, nicht etwa weil sie gerade Kekillis neuen Film Die Fremde gesehen hätten, die Geschichte eines sogenannten Ehrenmordes, für den sie, nun zum zweiten Mal, den Deutschen Filmpreis gewann. Sie hatten Gegen die Wand gesehen. "Das war schon irre", sagt Sibel Kekilli, "sechs Jahre nach dem Film."

Andererseits: So irre ist das wahrscheinlich gar nicht. Zum einen bleibt es ein beeindruckender Film, zum anderen ist Kekilli danach sehr zurückhaltend in ihre Karriere gestartet. Nach so einem Erfolg, sagt sie, sei es natürlich eine schwierige Entscheidung: "Entweder man gibt Gas, macht alles, verdient Geld und denkt nicht an die Zukunft. Oder man sagt fast alles ab, macht sich rar und wartet auf die ganz andere besondere Rolle." Sie hat sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Sie hat nicht in 43 weiteren Integrationsfilmen mitgespielt, sondern neben Josef Bierbichler in Winterreise und im Holocaust-Drama Der letzte Zug, drehte auch in der Türkei. Bei HBO spielt sie als Shae nun zum ersten Mal eine Rolle, ohne dass der Großteil des Publikums in ihr die Türkin aus Gegen die Wand wiedererkennt. Das amerikanische Fernsehen als Ort, an dem sie sich von sich selbst emanzipieren konnte.

Ihr Warten auf die richtige Rolle, ihr Abwägen, verraten nicht nur viel über Sibel Kekilli, die sehr ernsthaft wirkt, sehr konzentriert, die über sich und dieses Leben ganz offensichtlich schon viel nachgedacht hat. Es verrät auch viel über das deutsche Kino und das deutsche Fernsehen. Sibel Kekilli erzählt von einer Kollegin, die damals, als sie Gegen die Wand drehte, zu ihr gesagt habe: "Sibel, diese Rolle ist Gold wert, so etwas kommt für eine Schauspielerin nur alle zehn Jahre." Sie habe, sagt Kekilli, damals nicht verstanden, wie sie das meint. Heute weiß sie es. Kluge, anspruchsvolle Frauenrollen sind selten. Und es hat dann immerhin nur sechs Jahre gedauert, bis sie Umay in Die Fremde spielte.

Sibel Kekilli wollte sich nicht festlegen, nicht für immer die Frau fürs Integrationskino sein, viele Angebote sagte sie ab. Andere Rollen scheinen dem Kino aber kaum für sie einzufallen. Und das Fernsehen? Ach. Deutsche TV-Frauen sind vor allem eines: total in Ordnung. Eine Figur mit einem echten Knall, wie sie Claire Danes in Homeland spielt, ist kaum denkbar, ein manipulatives Miststück wie Robin Wright in House of Cards schafft es nur zur Hauptfigur, wenn sie geläutert wird. Die Zuschauer sollen sich identifizieren können. Sibel Kekilli sagt, sie liebe Kommissarin Lund, die dänische Ermittlerin, "die ist so verbissen, so kompliziert". Sie kenne keine Frauenfigur im deutschen Fernsehen, die so ist. "Das ist wirklich schade."

Sibel Kekilli hat in den Jahren nach ihrem großen Erfolg sehr viel gewartet. Sie sagt: "Ich hatte zwischendurch schon Phasen, in denen es wirklich schwierig war, es gab schon harte Zeiten." Aber sie habe keine Kinder, sie müsse von ihrem Einkommen keine Familie durchbringen. "Ich halte meine Ansprüche auf Luxus lieber niedriger und bewahre mir dafür die Freiheit. Natürlich hätte ich gerne mal eine Chanel-Tasche, eine neue", sagt sie und lacht.

Selbstachtung statt Chanel-Tasche, bisher hat sie das gut durchgehalten. Immer nur glücklich macht es aber wohl nicht. Im April 2010, als sie für Die Fremde den Filmpreis gewann, lief Sibel Kekilli im Berliner Friedrichstadt-Palast nicht nur barfuß nach vorne und setzte sich im Rauschekleid auf die Bühne. Sie schrie auch eine Initiativbewerbung in den Raum: "Ich, von Beruf Schauspielerin, bin interessiert an guten Stoffen." Das Publikum klatschte mit dieser gewissen Mischung aus Faszination und Gönnertum.

In Finnland zum Tatort

Sie sagt, sie habe diese Rede schon ernst gemeint. "Ich dachte, ich bekomme jetzt einen Preis und dann passiert wie nach Gegen die Wand wieder erst mal nichts." Und sie habe gedacht: "Ich möchte nicht noch einmal solche Zeiten erleben, ich will meine Miete zahlen können. Aber ich will auch Projekte machen, bei denen ich mit dem Herzen dabei bin." Gemeldet hat sich auf ihren Auftritt hin Matthias Schweighöfer, der ihr eine Rolle in What a man verschaffte. Aber das sei jetzt auch schon wieder länger her - sie würde, sagt sie, immer noch gerne viel mehr drehen fürs Kino.

Man muss sich um die Miete von Sibel Kekilli wahrscheinlich keine akuten Sorgen machen, sie spielt in Game of Thrones, seit 2010 ist sie Ermittlerin im Kieler Tatort. Ihre Rolle als Sarah Brandt war kein Sozialprojekt des NDR nach Kekillis Arbeitsgesuch vor Millionenpublikum: Ein paar Wochen vor dem Filmpreis-Auftritt war sie im Urlaub in Finnland, nahe der russischen Grenze, "wo sonst wirklich niemand ist". Nur Axel Milberg, der einen Tatort drehte. Sie trafen sich beim Einkaufen, Milberg fragte die zuständige Redakteurin, ob Kekilli die Nachfolge seiner Co-Ermittlerin machen könnte. "Er meinte: Die scheint doch nett zu sein, fragen wir die mal."

Als Sarah Brandt, als Kommissarin mit deutschem Namen, ist Sibel Kekilli in der Mitte der Fernsehnation angekommen. Und sie hat sich ihre Räume geschaffen. Sarah Brandt ist Epileptikerin, "unberechenbar", sagt Kekilli. Für eine Tatort-Kommissarin ist das schon fast verrückt. Und sie ist Shae, Kurtisane in einer Welt, in der Frauen nicht mehr Skrupel haben als die Männer, mit denen sie schlafen.

© SZ vom 09.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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