Zum Tod von Riccardo Ehrman:Eine Frage der Ewigkeit

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"Mein bester Moment war die Pressekonferenz mit Schabowski." - Der italienische Journalist Riccardo Ehrman im Jahre 2014. (Foto: Angel Navarrete/picture alliance/dpa)

Der italienische Journalist Riccardo Ehrman löste 1989 mit einer einzigen Frage den Fall der Mauer aus. Nun starb er mit 92 Jahren. Ein Nachruf.

Gastbeitrag von Jochen Arntz

Er kam zu spät, an diesem milden Tag in Ost-Berlin. Aber das Leben bestraft nicht alle, die zu spät kommen. Manchen gibt es sogar eine historische Chance.

Der italienische Journalist Riccardo Ehrman fand am 9. November 1989 keinen Parkplatz vor dem Pressezentrum in Ost-Berlin, er suchte und suchte, drinnen im Saal waren längst alle Plätze besetzt für die Pressekonferenz der SED mit Günter Schabowski. Als Ehrman endlich in den Saal kam, konnte er sich nur noch vorne auf den Rand der Bühne setzen.

Und genau das machte den Unterschied an diesem Tag, der Weltgeschichte schreiben sollte. Denn Schabowski hatte ihn auf der Bühne gut im Blick, als der Zuspätgekommene sich um 18.53 Uhr meldete und kritisierte, dass die DDR auch in den neuen Gesetzenwürfen ihren Bürgern immer noch keine Freiheiten zugestehen wollte: "Ich heiße Riccardo Ehrman, ich vertrete die italienische Nachrichtenagentur Ansa. Herr Schabowski, Sie haben von Fehlern gesprochen. Glauben Sie nicht, dass dieser Reisegesetzentwurf, den Sie jetzt vor wenigen Tagen vorgestellt haben, ein großer Fehler war?"

Ein großer Fehler. Ja, den machte dann Schabowski, zumindest aus Sicht der DDR-Führung. Als er versuchte zu erklären, welche Reisen denn nun möglich sein sollten. Denn er stammelte ein paar Sätze, die nicht nur Ehrman so verstand, dass die SED die Mauer öffnen wird. Sofort, unverzüglich.

Die Zeile, die er nach Rom telegrafierte, glaubte ihm niemand: "Der Fall der Berliner Mauer."

Ehrman telegrafierte seine Zeile nach Rom in die Zentrale der Nachrichtenagentur. "La caduta del muro di Berlino - der Fall der Berliner Mauer." Aber da glaubte ihm niemand. Zumindest zunächst nicht.

Vielleicht war das alles auch zu viel, um es gleich zu glauben. Denn der Weg des Riccardo Ehrman zu seinem kurzen Auftritt in der deutschen Geschichte war schon unglaublich genug.

Das war ihm selbst klar. Jahre später, als er schon in Madrid lebte, ein Reporter im Ruhestand, erzählte er mir aus seinem Leben, das für zehn Leben gereicht hätte. Und in dem die deutsche Geschichte nicht immer so glücklich war wie am Tag des Mauerfalls.

Ehrman, der in seiner Wohnung gerne sehr laut Bach hörte, war der Sohn polnischer Juden aus Lemberg, die ihre Hochzeitsreise nach Italien geführt hatte. Ehrman, an dessen Wänden später so viele Bilder aus Berlin hingen, wurde 1929 in Florenz geboren, weil seine Eltern einfach nicht mehr zurückgegangen waren nach Polen. Sie hatten sich in Sicherheit gebracht vor dem, was kam. Vor dem Holocaust, vor der deutschen Geschichte.

Als er das erzählte, Ende der Neunziger Jahre in Madrid, saß er vor einem Bücherregal, in dem einige Bände Goethe standen, die von einer Karl-Marx-Büste gestützt wurden. Ehrman musste man nichts erzählen über die verschlungenen Pfade der Jahrhunderte. Und über Zufälle.

Eigentlich hätte er gar nicht mehr in Ost-Berlin sein sollen. Aber sein Vorgänger erkrankte.

Eigentlich hätte er am 9. November 1989 gar nicht mehr in Ost-Berlin sein sollen. Ehrman war als Reporter in der ganzen Welt unterwegs, er war Korrespondent in Kanada und den USA. Von 1976 bis 1982 berichtete er bereits aus der DDR, danach schickte ihn die Agentur nach Indien. Da hätte er bleiben sollen, aber dann erkrankte Mitte der Achtziger sein Nachfolger in Ost-Berlin. Ehrman wurde gefragt, ob er wieder zurück wolle in die DDR. Er sagte zu. Der Rest ist Geschichte.

Aber auch diese, die Geschichte der Pressekonferenz des 9. Novembers 1989 ist komplizierter, als sie oft erzählt wird. Ehrman war das immer klar, er war ja dabei. Seine Frage an Schabowski löste tatsächlich alles aus, aber am Ende war der Mauerfall journalistisches Teamwork. Denn nachdem Ehrman Schabowski die entscheidende Frage gestellt hatte, setzte der Bild-Reporter Peter Brinkmann nach und wollte wissen, ab wann denn die neuen Reise-Regelungen für DDR-Bürger in Kraft treten sollten. Der Druck auf Schabowski wurde zu groß, der Druck auf die Mauer auch.

Die Deutschen, immerhin, haben sich bei Riccardo Ehrman erkenntlich gezeigt. Als er am Abend des 9. November 1989 zum Grenzübergang Berlin-Friedrichstraße lief, erkannten die Leute den Reporter aus der Pressekonferenz, die im Fernsehen übertragen worden war. Sie nahmen ihn und warfen ihn in die Luft. Viele Jahre später bekam er das Bundesverdienstkreuz für die richtige Frage.

Am Montag ist Riccardo Ehrman mit 92 Jahren gestorben. Er selbst hat seinen Stellenwert in der Weltgeschichte frei nach Oscar Wilde so eingeordnet: "Das Leben ist eine langweilige Viertelstunde mit einem einzigen guten Moment. Mein bester Moment war die Pressekonferenz mit Schabowski."

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