Die Vorwürfe sind massiv: Von einem Schaden für Kunst und Kultur ist die Rede. Dass dem Genre Hörspiel die Auflösung droht und dem Autorenberuf die Entprofessionalisierung. Weiterhin, dass der öffentlich-rechtliche Hörfunk die Kultur nicht mehr als seinen Auftrag definiert, sondern nur noch als ein Angebot. Es ist die Rede von prekärer Bezahlung, dem Wegfall der Arbeitsgrundlage. Das alles gipfelt in dem Satz: "Die öffentlich-rechtlichen Sender werden zunehmend kulturvergessen."
So steht es in einem Offenen Brief der Hans-Flesch-Gesellschaft und des Verbandes der Theaterautor:innen, adressiert an ARD und Deutschlandradio. Die Flesch-Gesellschaft ist ein Forum für akustische Kunst, der Verband vertritt auch Hörfunkautoren, von denen viele auch für die Bühne schreiben. Unterzeichnet haben den Brief mehr als 250 Autoren sowie Regisseurinnen und Komponisten, die direkt betroffen sind von den Sparmaßnahmen der Sender. Sie alle realisieren Hörspiele, Features, Radioserien, Podcasts.
Unter den Unterzeichnern sind Andreas Ammer, Elfriede Jelinek, Noam Brusilovsky, Kathrin Röggla, Paul Plamper, Ruth Johanna Benrath, Hermann Bohlen und Michaela Melián. Etliche von ihnen sehen sich in ihrer Existenz bedroht, weil die Sender ihre Engagements als Kulturproduzenten deutlich zurückfahren.
In den vergangenen Jahren sind viele Sendeplätze für Hörspiele gestrichen worden
Deshalb appellieren sie an die Öffentlich-Rechtlichen, sich wieder ihres Kulturauftrags zu besinnen. Der Europäische Gerichtshof hat den Rundfunkbeitrag unter anderem nur deshalb als rechtmäßig anerkannt, weil die Sendeanstalten über Kultur nicht bloß berichten, sondern sie mit ihren Orchesters und Chören, ihren Lesungen, Features und Hörspielen auch selbst erschaffen.
Die Misere für die Autoren ist eine dreifache: Der Wegfall etlicher Sendeplätze - zuletzt hat der NDR eine von zwei Hörspiel-Ausstrahlungen am Wochenende gestrichen - hat zur Folge, dass weniger Stücke neu produziert und dann auch seltener wiederholt werden. Immer häufiger handelt es sich dabei um Bestseller-Adaptionen statt um original fürs Hörspiel entwickelte Stoffe. Und schließlich wird, was gesendet wird, in Summe schlechter bezahlt. Die ARD verweist auf Anfrage in einer Stellungnahme schlicht auf die geltenden Tarifverträge.
Zwar haben sich die Öffentlich-Rechtlichen mit dem Verband der Bühnenverleger mit Wirkung von Mitte 2019 darauf geeinigt, das Ersthonorar moderat anzuheben und einen zehnprozentigen Aufschlag zu bezahlen für die Online-Verwertung. Die Honorare für Wiederholungen und Übernahmen durch andere Sender wurden im selben Zug jedoch massiv gesenkt. Die ARD argumentiert, dadurch würden Anreize für zusätzliche Wiederholungen geschaffen.
Das Honorarmodell behandelt die Audiotheken nach wie vor als eine vernachlässigbare Nische
Die Realität sieht aus Sicht der Künstlerinnen und Künstler anders aus. Sie stellen fest, dass ihre Produktionen trotzdem seltener wiederholt werden als zuvor, weil es schlicht an Sendeplätzen und offenbar doch an Geld fehle. Vereinbart wurde, das neue Vergütungsmodell in diesem Jahr zu evaluieren. Für die Absender des Briefes steht fest: Die Vergütungsregeln "sind weder zeitgemäß - weil sie aufs lineare Senden ausgerichtet sind - noch sozial gerecht".
Die ARD errechnet den Online-Zuschlag laut eigener Aussage aus dem Verhältnis der Abrufzahlen im Netz zur Livenutzung von Radio, die demnach zehnmal höher ist. Nur liegt die Reichweite von Hörspielen im linearen Programm unter dem Durchschnitt der meisten Kulturwellen. In den Audiotheken sind das jedoch die am häufigsten abgerufenen Programme. Das Verhältnis von digitaler zu linearer Nutzung liegt also nicht bei mageren eins zu zehn. Der Aufschlag müsste insofern deutlich höher als zehn Prozent sein. Die ARD indes verweist darauf, dass ein Online-Abruf nicht zwingend bedeute, dass ein Programm auch tatsächlich gehört werde. Das soll wohl bedeuten, sie zahle ohnehin mehr, als sie eigentlich müsste.
Ein perfides Argument. Die Öffentlich-Rechtlichen, aufgrund des Rundfunkbeitrags verschont vom freien Markt, rechnen ihren Autoren vor, wie häufig deren Sendungen gehört werden und begründen damit die Honorarsätze. Was angemessen ist, entscheiden nicht Wert und Relevanz einer künstlerischen Arbeit sowie der Aufwand, sondern die Einschaltquoten.
"Aus dem Schreiben für den Rundfunk wird zunehmend eine prekäre Tätigkeit"
In dem Offenen Brief heißt es, die künstlerische Produktion verliere "ihren Anspruch auf Schutz und Pflege", unter den neuen Bedingungen werde das "Schreiben für den Rundfunk eine zunehmend prekäre Tätigkeit". Die Honorarsätze unterscheiden sich von Sender zu Sender. Spricht man mit Autoren, hört man jedoch folgendes Rechenbeispiel: Als Audiotheken noch keine Rolle gespielt haben, sei es durchaus üblich gewesen, dass ein Hörspiel durch das Ersthonorar, das im mittleren vierstelligen Bereich liegt, sowie diverse Wiederholungen und Übernahmen um die 20 000 Euro eingebracht habe. Heute seien es oft nur noch 12 000 Euro. Kein Vergleich mit den Honoraren, die Drehbuchautoren beim Fernsehen verdienen: Hier liegt die Grundvergütung für einen 90-minütigen Spielfilm bei 65 000 Euro.
Mit dem Verband der Drehbuchautoren haben sich die Öffentlich-Rechtlichen vor zwei Jahren auf Vergütungsregeln geeinigt, die der modernen Verwertung im linearen TV-Programm wie auch in den Mediatheken gerecht wird. Eine Vereinbarung dieser Qualität fehlt fürs Radio. Die Autoren sitzen nicht einmal selbst mit am Tisch: Die Öffentlich-Rechtlichen verhandeln mit dem Verband der Bühnenverleger.
Nun haben die Autorinnen und Autoren selbst das Wort ergriffen und fordern die Neuauflage der Honorarverhandlungen. Aus ihrer Sicht ist es nicht länger hinnehmbar, dass Hörspiele sowohl in den sendereigenen Audiotheken als auch auf Drittplattformen wie Spotify und Deezer zur Verfügung stehen, deren Urheber dafür aber nur einige hundert Euro erhalten. "Ohne uns gäbe es das alles nicht", heißt es in dem Brief: "diese Traum-Bühne der Serien und Hörspiele, diese ganze Ohrenlust der Hörerinnen und Hörer."